Politik. Jetzt neu: mit uns!

Mit der Politik ist das ja so eine Sache. Wer mich länger kennt und liest, weiß, dass ich durchaus ein politisch denkender Mensch bin. Und dennoch wäre der Gedanke, mich in Parteien, oder auch nur irgendwelchen Organisationen zu engagieren für mich so dermaßen undenkbar, dass ich mich eher noch geschlechtsumwandeln lassen würde. Einfach so.

Natürlich gibt es auch bei mir das Bedürfnis zu gestalten und in den politischen Prozess eingreifen zu wollen (oftmals gerne mit der Faust, wenn das irgendwie ginge), welches sich aber wie bei den meisten dann in eine resignierte Ohnmacht verwandelt. Natürlich ist das eine schlimme Die-da-oben-Haltung, aber was soll man machen, wenn man sich in der Politik eben nicht nur nicht repräsentiert fühlt, sondern gegen die Repräsentation an sich ist? Und wenn man die Nachrichten seines Spam-Mailordners erstmal für eine glaubwürdigere Quelle als Politikerversprechen hält?

Aber ich will nicht schon wieder rummeckern. Ich will viel mehr von der Gemengenlage meiner Politikerwartung berichten, mit der ich in den Mittwoch, den 27. Mai startete. Da nämlich war die Anhörung zum Gesetz der Kinderpornographie-Sperren, und ich war zugegen. Es war eine Frage-Antwort-Session, in der Experten, die allesamt aussahen, als hätten sie schon etliche Bücher über dieses Internet gelesen, auf die Fragen der Politiker aller Fraktionen antworten sollten. Sehr schön und mit allerlei zusätzlichen Infos hat das Tristessedeluxe beschrieben.

Im Grunde aber war nichts weiter überraschendes dabei. Die Opposition war dagegen, das war vorher klar. Die Linke überraschte etwas, indem sie direkt Netzquellen für ihre kritischen Fragen referenzierte. Zum Beispiel Netzpolitik.org. Die Union war natürlich offenbar für die Sperren aber dann doch ungewöhnlich vorsichtig in ihren Formulierungen. Das lies tief blicken, wie auch das Dekoltee der Frau vom Wirtschaftsminister Guttemberg, die im Vorbeigehen kurzzeitig meine und JerikoOnes Aufmerksamkeit… ach.

Die SPD jedenfalls wand sich. Sie stellte teils kritische Fragen, fasste aber andererseits die Meinungen der Experten in merkwürdigen Statements zusammen. Unter anderem, dass wohl keiner prinzipielle Bedenken gegen die Netzsperren habe, was aus der Anhörung nun wirklich nicht hervorging. Jedenfalls wurden aber auch hier Bedenken geäußert und man merkte deutlich – wie bereits in der Berichterstattung davor – dass die SPD zu wackeln beginnt.

Insgesamt kann man sehr zufrieden sein. Die Experten waren immerhin fit genug, so ziemlich alle Grundrechtsbedenken und technischen Mängel, sowie alle anderen Argumente mehr oder weniger geschliffen auf den Tisch zu legen. Der CDU und der SPD wird es in Zukunft unmöglich sein, die Argumente der Gegner einfach abzutun.

Und man muss ja zugestehen, dass die bloße Einberufung dieser Anhörung schon ein Triumph ist. Ohne die Onlinepetition und all die anderen Protestbekundungen und Aktionen, hätte es diese Anhörung nicht gegeben. Ich jedenfalls war zufrieden, obwohl ich danach in das eine oder andere enttäuschte Gesicht sah. Man muss sich aber doch die Ausgangslage anschauen. Da gab es recht geschlossene CDU und SPD Fraktionen für das Gesetz und drei Oppositionsparteien, die mit ihren Köpfen hin und her nickten und irgend was mit „Ja, aber…“ stammelten. Nun haben wir die gesamte Opposition wie von Geisterhand im Sack und die SPD fängt das wackeln an. Man hätte unmöglich mehr erwarten können.

Und diese strategische Ausgangslage ist natürlich bestens. Vor allem, als ich nach der Sitzung erfuhr, dass die SPD direkt im Anschluss einige der prominenteren Zaungäste der Anhörung (Franziska Heine, Johnny Haeusler, etc.) für ein informelles Gespräch in die Friedrich Ebert Stiftung geladen hatte. Da ich also eh in der Nähe war, ging ich da uneingeladener Weise einfach mal mit.

Uns erwartete der eben noch in der Anhörung für die SPD sprechende MdB Dörmann, der auch der zuständige Berichterstatter für die Fraktion zu dem Thema ist. Dazu Kajo Wasserhövel, der SPD-Oberwahlkämfer und ein paar mir unbekannte Nasen. Weil uns sogleich aufgetragen wurde, keine Informationen nach draußen zu tragen, kann ich hier keine Statements zitieren. Aber ich denke, es geht in Ordnung im allgemeinen zu berichten.

Ich empfand die anwesenden Politiker als durchaus aufgeschlossen. Sehr geduldig wurde allen Anwesenden Raum für ihre Kritik gegeben und so wurden die Argumente schonungsloser und ungefilterter als bei der Anhörung ausgetauscht.

Unsere „Fraktion“ der Sperrgegner wartete mit der ganzen Bandbreite auf. Schmeichelndes auf-die-Politik-Zugehen, vom netten Zensurgegner von neben an, Johnny. Unnachgiebig hart aber sachlich argumentierende CCC-Leute. Ein eloquent und geschickt agierender Heisejournalist. Dazu der eine oder andere emotionale Wutausbruch bei wenigen. Ich empfand aber auch das als produktiv, weil ich meine, dass die SPDler doch auch ein Anrecht darauf haben, ein Gefühl dafür vermittelt zu bekommen, wie emotional und heftig die Reaktionen im Netz tatsächlich sind. Tim Pritlove fasste das gut zusammen, indem er die SPD warnte, er habe die Netzgemeinde noch nie derart wütend erlebt und dass sie die 100.000 Netzmenschen nicht zum Feind haben wolle. Nicht im Wahlkampf. Vor allem nicht im Onlinewahlkampf.

Natürlich wurde man sich nicht einig. Das war auch in keinem Fall zu erwarten. Aber es wurde offen Diskutiert. Es fand ein erster Dialog auf Augenhöhe statt. Auch wurden seitens der SPD konkrete Anregungen aufgenommen. Es wurden anscheinend auch einige Argumente zum ersten Mal gehört. Die Befürchtungen, die wir alle haben, wurden hoffentlich schonungslos klar.

Ich wusste am Ende zwar nicht was, aber irgendetwas hatten wir da bewegt.

Und jetzt kann man bestaunen, was. Die Änderungswünsche der SPD-Fraktion am vorliegenden Gesetz sind zwar keine komplette Rücknahme und sie genügen auch meinen Wünschen nicht, aber sie sind immerhin so tiefgreifend, dass das Gesetz in Gänze neu geschrieben werden muss. Das wiederum macht es sehr unwahrscheinlich, dass Frau von der Leyen das Gesetz noch vor der Wahl durch die Instanzen bekommt. Was es wiederum unwahrscheinlich macht, dass sie es überhaupt versuchen wird. Und nach der Wahl? Ach, warum soll man da ein geplantes Wahlkampfthema noch mal durchboxen wollen?

Ich bin jetzt jedenfalls zuversichtlich. Mehr als vorher.

8 Gedanken zu „Politik. Jetzt neu: mit uns!

  1. Siehste, wär ich mal da gewesen und hätte das nicht nur wieder alles über das Intenet wahrgenommen, dann wär ich vielleicht auch etwas optimistischer. Danke, für die Darsstellung des Sequals alleine mit der SPD.

  2. Ein schönes Beispiel für politische Kultur. Und der Beweis dafür, dass politische Einflussnahme auch außerhalb von Vereinen und Parteien möglich ist. Man muss es nur wollen.

  3. Michael, ganz so optimistisch würde ich das nicht sehen. Das war jetzt mal ein Thema, bei dem sich alle Netzleute einig waren. Das ist extrem selten. Außerdem werden die Politiker bei der nächsten Hauruck-Petition sicher auch kühler reagieren. Aber es ist immerhin ein viel versprechender Anfang.

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  6. Ich weiß nicht, ich weiß nicht. Ich glaubte nicht wirklich dran, ließ mich von der Freude über die Anhörung anstecken, aber dann lese ich das hier:

    G8: Künftig mehr staatliche Kontrolle im Internet

    http://www.gulli.com/news/g8-k-nftig-mehr-staatliche-2009-05-29/

    „Unter anderem einigten sich die Innen- und Justizminister der G8 darauf, Netzsperren gegen als kinderpornographisch eingestufte Seiten künftig in allen G8-Staaten umzusetzen.“

    Seien wir ehrlich: Wenn die G8-Staaten das ernsthaft durchziehen, wird Deutschland mitmachen. Es sei denn, es gelingt, den Protest in allen diesen Staaten aufzubauen.

    Obama plant ja schonmal eine Sicherheitsbehörde fürs Internet. Wenn auch mit vielen Dementis versehen: Ich bleibe misstrauisch.

  7. Enno, gar keine Frage. Der Kampf geht weiter. Es ist ja nicht so, als hätten wir es hier nur mit Frau von der Leyen zu tun. Im Hintergrund steht eine riesiege Lobby aus vom Internet betroffenen und Milliardensummen. Die setzen jetzt alles daran über Umwege und Lobbyismus das Internet zu zensieren. Wir müssen wachsam bleiben.

    Was wir vielleicht brauchen ist ein Grundgesetz des Internet. Einen unberührbaren Codex. Wo drinsteht, wo die Demarkationslinien der Verechetlichung sind, und ab der wir uns gemeinsam darauf verpflichten, den Politikern aufs Dach zu steigen. Mit allem Mitteln, die uns zur Verfügung stehen.

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