moravagine oder dieses Blog VI

Als ich noch mit hannoverschem Grünspan hinter den Ohren nach Lüneburg taumelte, um dort mein Studium zu beginnen, bildete ich mir ein, dieser Ortwechsel, als vorübergehende Notwendigkeit, würde mich als Person oder gar als Persönlichkeit unangetastet lassen. Ich bildete mir ein, dass ich doch jedes Wochenende nach Hause fahren würde und dort mit meinen alten Kumpels herumhängen würde. Ich dachte eben, ich sei ich und ich bliebe ich, egal was dort in Lüneburg so gespielt wird. Nun denn, das ist viele Jahre her und es hat nicht geklappt, muss ich zugeben. Ich bin ein anderer geworden, jemand den ich mir damals wohl schwer hätte vorstellen können.
Bei der Rekapitulation dieses früheren ich’s, an das ich mich nur schwerlich erinnern kann, fällt heute manchem lüneburger Freund nicht ohne ein Schmunzeln ein, wie ich damals das Wort „Alter“ an so ziemlich alle meine Sätze zu hängen pflegte. Ich weiß nicht, ob dieser spezielle Slang mehr meinem damaligen Alter oder doch eher einem spezifisch hannoverschen Idiom geschuldet ist. Es spielt auch eigentlich keine große Rolle, denn es wurde bald erfolgreich abgelegt, wie so vieles, denke ich, vieles was meine Sprache ausmachte, vieles was mir heute aber nicht mehr in den Sinn kommt, vielleicht weil es nicht so auffällig war wie dieses „Alter“. Man kann vermuten, dass ich dieses pupertäre Idiom einfach ablegte, mich entschälte, aus meiner alten Sprache einfach hinauswuchs, erwachsen wurde oder so ähnlich. Ja, vielleicht kann man vermuten, dass ich das jetzt bin, „erwachsen“, zumindest sollte ich es nun sein mit meinen 28 Lenzen, sollte so langsam meine Sprache gefunden haben, eine die ich ohne weiteres die meinige nennen kann. Ja, man könnte durchaus so denken, wenn man nicht andauernd das Gegenteil bewiesen bekäme.

Denn es verschlägt einem durchaus noch immer die Sprache. Man liest und man liest und alles was dabei herauskommt ist die eigene Sprachlosigkeit. Auch jetzt noch: Dieses Verlieren der Sprache, als die so genannte „eigene“ Sprache, eben jene, die man für sich reklamiert hatte, als man zum Beispiel anfing zu bloggen, findet noch immer statt. Der Prozess geht still und heimlich und letztlich steht man da, sprechend und man merkt, dass man dabei nicht die eigene Stimme vernimmt, sondern eine andere. Aber vielleicht merkt man es gar nicht so sehr beim Sprechen selbst, sondern erst wenn man wieder auf die alte Sprache gestoßen wird, so wie man sie einst sprach oder zumindest zu sprechen wünschte. So, jedenfalls, ist es mir passiert.

Dass bloggen viel mit lesen zu tun hat, ist wohl jedem aktiven Blogger klar. Dass das aber, was man liest, mehr ist als nur ein Text, dass das Lesen des Textes oder der Textes schon ein Eingang ist, zu einer Institution, das entgeht dem Leser, auch dem Blogger, häufig. Das Tor ist vielleicht zu groß, zu weit gefasst, als dass man es als Tor wahrnehmen kann und schon steht man mittendrin in einerInstitution oder einem System und fügt sich ihm ein. Denn diese Institution ist nichts anderes als ein Gerichtssaal. Hier wird Recht gesprochen. Über allem schwebt Justitia mit ihrem Gesetz, und eh man sich versieht, ist man bereit das Gesetz zu empfangen, es für sich entgegenzunehmen. Die Dokumente werden einem überreicht, fertig zur Signatur liegen sie vor einem auf dem Schreibtisch, man blickt ohne Skepsis auf sie herab, den Füllfederhalter in der Hand.

Wovon ich hier spreche, ist eben die Sprache des Anderen als das Gesetz des Anderen. Sie überkommt einen, ohne Vorwarnung sucht sie einen Heim, sobald man in irgend eine Gruppe jedweder Art eintritt oder eintreten möchte, sobald diese unsichtbare Grenze überschritten werden soll, die allenthalben gegenwärtig ist. Diese Grenze ist als solche durchaus wörtlich zu verstehen und nicht immer ist sie unsichtbar, die Grenzposten sind häufig ganz real und immer wird man sich auf ein Gesetz verpflichten müssen, sein Schibboleth entrichten müssen, einen Vertrag signieren müssen und immer wird man dabei seine Sprache verlieren. Ob Frankreich, Rumänien, Hannover, Lüneburg, Kindheit, Erwachsenenwelt oder eben Blogsphere, der Mechanismus des Gesetzes funktioniert überall gleich. Aber meistens, und das ist das was so erschaudern lässt, ist diese Grenze eben unsichtbar, immer hat man den Schritt schon getan, immer hat man den Vertrag schon signiert, die Sprache des anderen empfangen und zwar als Gesetz empfangen. Deshalb ist es auch unmöglich diese Grenze genau zu bestimmen, den Grenzverlauf abzustecken, denn und das ist wichtig, man ist immer auch Teil dieser Grenze, denn diese Signatur, die man leistet, ist nicht zu verstehen, als eine bloße Unterwerfung. Nein, das Hinzufügen der eigenen und einzigartigen Signatur, zum Vertrag, wohnt auch immer ein weiteres performatives Element inne, das den Vertrag verändert und ihn erweitert. Die eigene Signatur wird selber zum Teil des Gesetzes und schwebt somit selber über allem und bildet erst die Grenze, ja sie macht mich soagar selbst zu einem ihrer Grenzwächter. Dies ist wiederum ein Prozess, wie man ihn überall beobachten kann, wie ihn vor allem diejenigen erlebt haben, die groß tönend auszogen das „System“ von innen her zu verändern, so etwa wie die Grünen auf der Regierungsbank. Ja, einerseits haben sie das System geändert, aber andererseits und vor allem haben sie sich selbst geändert. Sie haben Verträge unterschrieben, die sie lange verteufelt haben, sie sprechen heute eine Sprache, über die sie sich noch in der Opposition laut echauffierten. Man kann hier leicht von Korruption sprechen und ja, vielleicht ist das sogar eine Form von Korruption. Aber wenn es das ist, dann ist niemand von uns frei davon.

Wie dem auch sei; ich als nunmehr korrumpierter Grenzwächter eines Systems, dass ich bewusst oder unbewusst beschlossen hatte zu betreten, las dann nun folgenden Kommentar, hier nur ein kurzer Auszug:

„[…] Nochmals: Ein Argument kann gerne logisch oder extensional oder intensional analysiert werden.
Dass „Veränderungen der Öffentlichkeit Teil der KoWi“ sind ist schön, endlich mal ein klar umgrenzter Untersuchungsgegenstand, der in den meisten mir bekannten Fachbereichen als Thema einer Diss oder Habilitation zu Kopf schütteln führen würde. Öffentlichkeit ist ja ein ähnlich offener Untersuchungsgegenstand wie Intelligenz, Wissen, Information oder gar Kommunikation. Da hat man über Jahrzehnte sichere Einnahmen aus Gütersloh und vom BMBF.

[…]
Ist nicht am Ende der Untersuchungsgegenstand Blog nur ein Vehikel, um in diesem virulenten und virilen Milieu ein Abstraktum zu verorten, dass es faktisch gar nicht gibt, da Abstrakta wie die oben benannten praktisch nach Belieben des Fachbereichs hin und her geschoben werden können und nur noch qua Topologie und Morphologie erlebbarer Entitäten wie eben Blogs zu einer Scheinfaktizität erhoben sozusagen in statue nascendi mit Existenzoperatoren versehen werden können. […]“

Der Kommentar war in der Sache richtig, auch gut geschrieben und aufgrund meiner universitären Ausbildung in Themenverwandten Gebieten für mich durchaus auch lesbar. Aber ich störte mich dennoch heftig daran. Es hatte sicher damit zu tun, dass ich die bisherige Debatte in Kommentaren sicher auch selbst auf einem wissenschaftlichen Niveau hätte führen können, es aber nicht tat, da ich mich vertraglich verpflichtet hatte, dies zu unterlassen, denn die Sprache in den Blogs ist eine andere Sprache, eine Sprache deren Gesetz man zu unterschreiben hat, wenn man denn mitdiskutieren möchte. Und ich, als selbsternannter Grenzwächter dieser Sprache, fühlte mich persönlich dazu aufgerufen, diesem Kommentator, sein Name ist moravagine, die hier gültigen Verträge um die Ohren zu hauen oder ihn zumindest den Füllfederhalter in die Hand zu geben, dass er sein Schibboleth entrichten solle, so wie jeder hier das tut oder getan hat um aufgenommen oder verstanden zu werden und Teil dieser Gruppe zu sein. Der Diskutant stand also direkt vor dieser imaginären Grenze und konnte nicht herüber. Niemand ging auf seinen Kommentar ein, alle diskutierten ohne ihn weiter, als hätte er nichts gesagt und dann und schließlich setzte ich ihm die Verträge in meiner unnachahmlich charmanten Art und Weise vor und bat ihn um Unterschrift:

@moravagine
haaaalloooo, du da oben, ja dich mein ich. siehst du mich … ja, ich hier unten. Komm doch mal runter zu uns, is echt nett hier.

Ich weiß nicht ob er verstanden hatte was hier passiert war oder ob er sich einfach nur weigerte das Gesetz anzunehmen, ob er meinte mit seinem spezifischen, ja durchaus beflissentlichen Idiom könne er diese Grenze hier einfach passieren, als hätte er ein universelles Idiom, einen universellen Passierschein, ein Jokeridiom, dem überall Tür und Tor geöffnet werden, sobald es gesprochen wird. Jedenfalls war seine Reaktion auf die Nichtreaktion der anderen sowie meiner Gatekeepergeste, dass er sich einfach ausklinkte, nichts mehr postete, und das tat mir dann wiederum leid, denn ich merkte ja auch, dass er durchaus das Zeug dazu hatte, dieser Diskussion wertvolles beizusteuern.

Wie dem auch sei, die Sprache und ihr Gesetz sind unerbittlich und auch mein Schreiben ließ sie nicht unangetastet, nicht mal diesen Text hier, bei dem ich doch so auf Offenheit Wert lege, ja, der beinahe so etwas wie ein Geständnis ist, mein Eingeständnis zu meiner eigenen Korruption und zu meinem Versuch auch noch andere zu korrumpieren. Aber wenn ich ehrlich bin, habe ich dennoch einen großen Teil meiner Sprache behalten, obwohl auch dieser nur empfangen ist, auch ihn habe ich mir angeeignet in einem Akt der Selbstauflösung und des Opportunismus. Freilich ein Akt, für den ich andere Verträge unterschreiben musste um andere Grenzen zu passieren. Eine wichtige Grenze, die ich meine überschritten zu haben, um mich auch noch dazu zu bekennen, ist die der Dekonstruktion von Derrida, deren Idiom in fast jedem Satz dieses Artikels durchschimmert und auch meine anderen Beiträge durchtränkt, wie einen Schwamm. Natürlich gibt es noch einige andere Aktenordner voll von Verträgen, die ich anderswo unterzeichnet habe und so fühle ich mich außer Stande hier meine „originäre“ oder „eigene“ Sprache benennen zu können. Freilich sind die meisten Verträge schon wieder gebrochen, vom Reißwolf verschluckt und auf den Müllhaufen der Geschichte befördert, um hier zur Abwechslung ein marxsches Idiom zu bemühen.

Aber wie ich schon schrieb, die Sprache, auf diesem Müllhaufen der Geschichte lässt einen doch nicht los, und es ist unmöglich sich ganz von ihr zu befreien, denn immer wieder wird sie einem begegnen, wie ein Geist eines längst verstorbenen wird sie auferstehen und herumwandeln als Widergänger oder sie kommt zu einem zurück als Flaschenpost, meist dann, wenn man es am wenigsten erwartet. Vielleicht auch in Gestalt des eben noch Ausgegrenzten, eben jenes moravagine, auf dessen Blog ich heute wieder stieß.

Beim Lesen seines Blogs erfüllte mich so etwas wie Neid, denn er kann wirklich verdammt gut schreiben und er hat dazu noch richtig viel Ahnung von dem, was er schreibt. Und wenn man von seiner etwas abgehobenen Attitüde, die sich immer ein wenig zu ernst nimmt, mal absieht, ist er durchaus ein Kandidat für meinen Blogroll, nein, er ist ganz sicher ein Kandidat für meinen Blogroll, nein: Ich nehme ihn hiermit in meinen Blogroll auf.

Aber das hier nur am Rande. Die Begegnung mit seinem Blog hatte für mich ja auch eben jenen Effekt der besagten Flaschenpost, die mich mit meiner eigenen Sprache und meinem eigenen Anliegen, dass ich einst mit meinem Blog verfolgte, konfrontierte und mir dieses, nicht ohne Neid zu erzeugen, unter die Nase rieb. Diese Erkenntnis hat mich nun einerseits dazu bewegt, diesen Blogeintrag zu verfassen aber andererseits meinem ursprünglichen Ziel wieder näher gerückt, nämlich einen Philosophieblog zu schreiben, denn das ist es was ich mache, und das ist es was ich will. Das soll nicht heißen, dass ich die Sprache der Blogsphere gedenke aufzugeben, denn sie ist mir lieb und teuer geworden und ich bin auch noch weit davon entfernt, sie wirklich zu sprechen. Und ich gelobe hiermit, mich weiterhin korrumpieren zu lassen von jedweder Sprache und vor allem der des bloggens. Blindlings werde ich weiterhin alle Verträge unterschreiben, die man mir vorlegt, aber ich werde mir wohl einen größeren Aktenschrank zulegen müssen, da ich mich bemühen werde weniger Verträge in dem Reißwolf verschwinden zu lassen. Das ist durchaus nicht einfach und erfordert viel Arbeit und als Leser wird man sich daran gewöhnen müssen, dass hier viele Sprachen am Werk sind und dass dieses Werk ein polyphones Werk ist, dass hier viele Stimmen zu Wort kommen, die sich nicht ohne weiteres vereinen lassen.

Ein Gedanke zu „moravagine oder dieses Blog VI

  1. Nun, ich denke, dass auch Du dich nicht darum sorgen musst in einem schlechten Stil zu schreiben, de facto liest er sich sehr angehm. Überhaupt hat dein Artikel durchaus Anspruch, den der Leser erst einmal überwinden muss und das dürfte ihm je nach Bildungsniveau leicht oder schwer fallen, aber auf keinen Fall allen leicht.
    Aus diesem Grund simplifiziere ich auch die Dinge, die ich in meinem Blog schreibe, aus Angst, es könne sich jemand abgehängt fühlen. 🙂

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