um den gedanken festzuhalten: clay shirkys talk zur git-demokratie enthielt einen satz, der mir nicht mehr aus dem kopf geht:
„the more ideas there are in circulation, the more ideas there are for every individiual to disagree with. more media always means more arguing.“
das erinnert mich stark an meine twittertimeline. und an die piraten. und an die kombination dieser beiden.
die ständige und intensive kommunikation untereinander treibt die diversitätsgeneratoren an, produziert differenzierungen von meinungen, reibungen, zersetzungen, spaltungen, streit.
es ist doch so: jede mögliche meinung zu einem thema wird heute ausgesprochen werden. jede meinung, die im raum steht, lädt ein, ihr zu widersprechen. wenn ich wollte, könnte ich mich den ganzen tag streiten.
in dem buch von steaward kauffman: at home in the universe, das ich gerade lese, erzählt er von experimenten mit booleschen netzen. je vielfältiger die knoten eines netzwerkes untereinander verknüpft sind, desto nervöser reagiert das gesamtsystem auf kleinere veränderung. der schmetterling-löst-tornado-aus-effekt.
auch das erinnert mich an meine timeline. und an das jahr 2011. wird mit der digitalen vernetzung die ganze welt zum shitstorm? oder sind wir bereits auf dem weg?
Der von dir geschilderten Tendenz steht etwas entgegen: Ideologie.
Merkwürdigerweise findet sich auch in der Timeline immer wieder das gleiche Zeug, wird sich ständig auf nationalen Leitmedien bezogen, gibt es überwältigende Mehrheiten fürs Ideologiekompatible, während anderes, gerade was nicht ins Weltbild paßt, einfach übersehen wird.
Ideologie funktioniert als Entsprechung und Verstärkung der unhinterfragten Alltagspraxis der privilegierten Mehrheit. Alles, was diese Verrichtung nicht stört, kann sich so divers auffalten, wie es eben geht; aber diese Vorauswahl ist entscheidend.
interessanter weise bin ich gerade tatsächlich an der stelle, wo kauffman biases der jeweiligen knoten als systemstabilisierenden parameter einführt …
Bias scheint mir eine sehr komfortable Art, nicht Ideologie sagen zu müssen. Und Ideologie weiter im Plural auf die Ränder der Gesellschaft anwenden zu können.
naja, das experiment arbeitete mit booleschen knoten. glühbirnen indeologie zu unterstellen, ginge doch etwas weit.
aber die funktion von ideologie ist in der gesellschaft vielleicht trotzdem strukturanalog. das wollte ich sagen.
Es ist vielleicht auch ganz komfortabel, an der Stelle von Glühbirnen zu reden 😉
„An der Stelle“ kann man nur von Glühbirnen reden, das ist nun mal der Preis der klassischen Formalisierbarkeit. Es ist ärgerlich, die Dialektiker haben keinen Formalismus, die Informatiker keine Dialektik. Wüsste eine Glühbirne, ob sie brennt und ob sie das will, wenn Strom anliegt, wär sie kein Bit mehr.
(„ob sie das will“ meint jetzt, dass sie weiß, dass sie mal brannte und weiß, dass sie brennen könnte)
Das Phänomen ist einfach, dass die Gedanken völlig unterschiedlicher Typen von Menschen mit unterschiedlicher Bildung, Umfeld, Alter, Einstellung, Hintergrundwissen, Definitionen und Werte im Netz kollidieren. Das heißt, die Menschen sind schon die ganze Zeit unterschiedlich, im Netz merken sie es auf die harte Tour, wenn sie ab und zu aus ihrer Filter Bubble raus kommen.
Mittel- oder langfristig führt es (meiner Einschätzung nach) bei Menschen, die sich ändern können, zu einer differenzierten Sicht der Welt. Wer das nicht will/kann, der haut sich halt die Köppe ein.
Vielleicht ist es ein strukturelles Problem in der Web-Kommunikation: Nur die abweichende Meinung ist interessant. Wenn ich als Kommentator schreibe: „Super Blogpost @mspro! Genau meine Meinung!“ – dann ist das (auch aus meiner Perspektive) langweilig. Kommentiert wird also nur die eigene abweichende Meinung. Die Einverstandenen retweeten und liken. Im Extremfall wirken echte Kommentare dann wie “ die ganze welt wird zum shitstorm“.