Jugendmedienschutz gestalten: die filtersouveräne Antwort

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Folgenden Text habe ich im Nachgang zur Debatte um „Jugendmedienschutz gestalten“, bei dem ich im Juni auf dem Podium im Rahmen des Medienforums NRW saß, geschrieben. Und ich dachte, hier macht sich der Text auch ganz gut.
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Wenn wir heute über Jugendschutz in den Medien reden, sprechen wir über zwei Zukünfte: Jugend und Medien. Beide sind gewisser Maßen gerade in der Entstehung und werden sich weit weg von dem Entwickeln, was wir heute sehen. Wir haben so wenig davon Ahnung, wie das Internet in 20 Jahren aussehen wird, wie, ob aus jenem 4 jährigen Mädchen einmal eine Bundespräsidentin wird.

Nur eines ist sicher: Der Umbruch, den wir erleben wird beim heutigen Internet nicht halt machen, sondern weiter fortschreiten und die Kinder von denen wir heute reden, werden in einer anderen Welt leben, mit anderen Medien hantieren als wir es uns heute vorstellen.

Natürlich denken wir nicht so. Wir glauben in der besten aller Welten zu leben und unsere Werte sind das Maß der Dinge. Unsere Aufgabe ist es, aus unserer selbstherrlichen Perspektive, den Kindern diese unsere Werte im Umgang mit Medien auf den Weg zu geben. Wir kannten den direkten Draht zur Öffentlichkeit nicht, also müssen die jungen Menschen das Konzept Privatsphäre eingetrichtert bekommen. Wir hatten nicht den Zugriff auf alle Informationen, also müssen wir auch unsere Kinder vor diesen Möglichkeiten schützen. Wir nennen dann diese Beschneidung der Welt auf das uns bekannte Maß: „Medienkompetenz“ und glauben auch noch den Kindern etwas gutes damit zu tun.

Aber während wir uns hier noch darüber Streiten, wie wir unsere alte Welt in die neue, grenzenlose und digitale Welt importieren können und vor allem den KIndern beibringen, von den vielen, neuen Möglichkeiten keinen Gebrauch zu machen, rollen diese nur mit den Augen und handeln die Umgangsweisen und Werte des kommenden Medienzeitalters aus. Denn das ist ihre Aufgabe. Nicht die unsrige.

Jugend und Medien: das ist eine Koevolution. Und egal wie wir uns bemühen, die Kinder sind doch eh schon wo anders, bevor die Tinte auf dem ersten Gesetz getrocknet ist.

Wenn man also von „Medienkompetenz“ sprechen will, so darf man nicht von dem sprechen, was wir uns als „Medienkompetenz“ vorstellen. Man muss – und ich bin mir der Unmöglichkeit dieses Unterfangens durchaus bewusst – von der Medienkompetenz der Zukunft sprechen. Man muss sich fragen: was könnte Medienkompetenz in Zukunft heißen.

So schwer diese Frage auch zu beantworten ist, glaube ich, dass man zwei Punkte jetzt schon festklopfen kann, ohne sich allzu weit aus dem Fenster zu lehnen:

1. Medienkompetenz wird etwas anderes sein, als das, was wir heute dafür halten.
2. Medienkompetenz wird vor allem mit der Fähigkeit zusammenhängen, sich in einem riesigen Informationsberg zurecht zu finden.

Die erste These ergibt sich aus dem Gesagten. Lassen Sie mich nur die These 2 kurz erläutern:

Eric Schmidt – noch vor kurzem der Chef von Google – bemerkte unlängst, dass in den letzten 2 Jahren so viele Daten produziert wurden, wie seit Beginn der Menschheitgeschichte bis 2003. Wenn man diesen Prozess nur ein paar Jahre weiterdenkt, hat man eine Vorstellung – nein, die Nichtvorstellbarkeit – der zukünftigen Medienrealität – also jene, in der die heutige Jugend einst leben wird. Diese Medienrealität wird ein wenig dem ähneln, wie es George Louis Borges beschrieben hat: in der Bibliothek zu Babel befinden sich alle mathematisch möglichen Texte, also alle denkbaren Buchstabenkombinationen. Eine Unendlichkeit an Daten.

Die Frage der Medienkompetenz der Zukunft wird also zwangsläufig lauten: Wie wird man sich in dieser Welt zurechtfinden?

Man wird außerordentliche Fähigkeiten entwickeln müssen, sich hier zurechtzufinden. Man wird heute noch kaum denkbare Software verwenden, um den Informationsstrom individuell aufzubereiten. Und man wird sich dabei darauf verlassen müssen, zu allen Informationen, die verfügbar sind, auch theoretischen Zugriff zu haben.

Ich glaube deswegen, dass es eine neue „Informationellen Selbstbestimmung“ geben wird. Die Selbstbestimmung sich im Wust der Informationen seinen eigenen Weg zu bahnen. Und diese Sebstbestimmung in der Filterung, Aggregierung und Aufbereitung von Information wird eine erhöhte Sensibilierung gegen Zensur voraussetzen.

In der Welt von Morgen wird es darum gehen, Herr über die Informationsflüsse zu sein, die einem die Realität bedeuten. Ich fürchte, dass Eltern, die das Netz für ihre Kinder vorfiltern, ihnen damit keinen Gefallen tun. Kinder von klein an, an das Regime der Zensur zu gewöhnen, wird nicht die Menschen aus ihnen machen, die mit dieser Zukunft gut zurecht kommen werden. Ich glaube, es wäre klug, die Kinder im Gegenteil früh gegen Zensur zu sensibilisieren und dem Umgang mit der Bibliothek von Babel nicht auszuweichen, sondern mit ihnen Wege des Umgangs damit zu entwickeln. Ich sage bewusst „entwickeln“, nicht erlernen. Denn wir sind den Kindern kein Stück voraus.

2 Gedanken zu „Jugendmedienschutz gestalten: die filtersouveräne Antwort

  1. Borges, Babel, esoterisch-futuristische Software. Wo habe ich das denn schonmal gelesen … ? 😉

    (Ich gehe da aber mit. Meine kleine Schwester weiß bereits, dass es im Internet ziemlich ekelige Dinge gibt und geht dann einfach nicht auf die entsprechenden Seiten.)

  2. Pingback: Jugendmedienschutz: Die vergebene Chance in NRW

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