Heute hatte ich zwei Zusammenstöße auf Twitter mit weißen alten Männern und ihrem gänzlich unoriginellen Unverständnis gegenüber ihrem eigenen unoriginellen Unverständnis.
Zunächst: mir ist klar, dass ich den genannten Kriterien fast vollumfänglich entspreche. Wems beim Verständnis hilft: ja, ich kritisiere hier meine eigene Identitätsgruppe, okay?
Da wäre zunächst Frank Schmiechen, ehemaliger Redakteur bei WELT und jetzt Chefredakteur bei Gründerszene. Er mischte sich in die ebenfalls recht rantige Debatte um SUVs ein, die ich iniziiert hatte und stellte einen eigenes Essay mit folgenden Worten in Aussicht.
Dein Humor? Witzig! Ich dachte eher in Richtung des Meinungskorridors, der sich hier in letzter Zeit auftut. Vom totalitären Traum, dass alles rein, entgiftet, richtig, gleich und und gerecht sein muss. Letztlich eine Auslöschungsfantasie.
— Frank Schmiechen (@gruenderkompakt)
Ich kann mir den Text bildlich vorstellen:
„Jetzt darf man also nicht mal mehr SUV fahren! Totalitäre Moralapostel verbieten einfach alles! Tugendfuror! Das wird ja wohl noch fahren dürfen!“
Vielleicht in hübschere Worte gekleidet, aber basicly this. Ich nenne es „Alte Männer Sermon“ und prognostiziere einen großen Klickerfolg, denn eine feste Zielgruppe hat das Genre ja.
Das vielleicht nervigste an alten, weißen Männern ist ihre vollkommene Ahnungslosigkeit ob ihrer eigenen Unoriginalität. Sie schreiben einen Artikel nach dem anderen gegen „Political Correctness“ und den „Totalitären Moralwahn“ und glauben tatsächlich jedes mal von neuem wahnsinnig mutig ein „Tabu zu brechen“ und „es endlich mal auszusprechen„. Man kann eine ganze Bibliothek damit füllen, aber sie glauben jedesmal total originell zu sein. Es wäre zum Schreien komisch, wenn es nicht so traurig wäre.
Die zweite Begegnung hatte ich in Form dieses Zeitartikels von Jochen Bittner, der als Verteidigungsschrift eben jener weißen Männer gedacht war. Leider findet sich der grundsätzliche Verständnisfehler bereits im zweiten Absatz. Bittner schreibt:
„In der Beschwerde über „weiße Männer“ steckt ja mehr als die Abwehr von offener oder unterschwelliger Diskrimierung. Sie ist eine Unterstellung, die selbst auf eine Diskrimierung hinausläuft: Jemand, der weiß ist, männlich und ein gewisses Alter hat, bringt höchstwahrscheinlich ein bestimmtes, nämlich falsches Denken mit.“
Und das ist schlicht falsch. Es geht nicht um Falschheit, sondern um Einseitigkeit. Niemand unterstellt weißen Männern generell ein falsches Denken oder ein falsches Bewusstsein. Es ist halt nur kein sonderlich originelles Denken oder sonderlich originelles Bewusstsein, sowie eine eingeschränkte Perspektive, wie beide aufgeführten Beispiele schön beweisen. Und es ist eine Perspektive, die die deutschen Feuilletons seit es sie gibt dominiert, die durchaus eine berechtigte und manchmal auch wunderbar richtige Sicht der Welt bereithält – aber eben nicht die einzig mögliche. Nur die Meinung von weißen (und meist über 40 jährigen, bürgerlichen, überdurchschnittlich gebildeten, heterosexuellen) Männern zu hören, ist eine unnötige Verengung des Blickfelds auf die Welt, zudem eine Aufforderung zur Denkfaulheit, Zirkelschlüssen und Groupthink. Der Hauptgrund jedoch, warum diese Perspektive aufgebrochen gehört, ist, dass sie für diese unfassbare Dröge in den Blättern verantwortlich ist.
Ich formulierte meinen Widerspruch in einem Tweet und es folgte ein Austausch mit dem Autor, der dem mit Schmiechen in Sachen Unverständigkeit in nichts nachsteht. Bittner wollte die unterstellte Eindimensionalität der Perspektive nicht stehen lassen, also erklärte ich, dass der Grund dafür die Homogenität von Erfahrungshorizonten ist. Darauf Bittner:
Der langzeitarbeitslose polnische Fabrikarbeiter und der Frankfurter Banker? Im Ernst?
— Jochen Bittner (@JochenBittner)
Nee, is klar. Die Diversität von Erfahrunswelten innerhalb der Gruppe weißer Männer ist schließlich groß genug. Und die Zeit-Artikel von arbeitslosen polnischen Fabrikarbeitern nehmen eh schon überhand. Da ist ja auch mal gut mit Diverstät und so.
Es ist fast peinlich, das erklären zu müssen: natürlich ist „weiße Männer“ nur die Schiffre für die Homogenität zum Beispiel in Redaktionen wie der der ZEIT, die über „weiß“ und „männlich“ weit herausreicht und natürlich immer auch den Arbeiter, den Behinderten den Schwulen, die Transsexulle, die PoC etc. strukturell ausgeschließt. Und den arbeitslosen polnischen Fabrikarbeiter natürlich auch. Sich auf ihn zu berufen, um auf eine vermeintliche innerweißmännlichen Pluralität zu verweisen, zeugt von einem derartigen Unverständnis der Problemlage, dass ich ernsthaft zweifle, dass Bittner für seinen Job geeignet ist.
Ich bin sowas von genervt von der Unoriginalität dieses vor sich hergetragenen Unverständnisses, dass mir nur noch bleibt, diese Demonstration geballter Ignoranz als Beweis der Legitimität der Kritik an alten, weißen Männern vorzuführen.
Also, mal von altem weißen Mann zu altem weißen Mann: Ich will gar nicht, dass ihr alle aus den Redaktionen verschwindet. Ich will nur gerne eine breitere Perspektive haben. Aber vor allem fehlt mir Originalität, Ideenreichtum und ein Mindestmaß an Selbstreflexion. Meine Hoffnung: wenn Redaktionen diverser werden, dann werden auch die Ansprüche an euch steigen. Dann kommt ihr mir euren wehleidigen, tausend mal gelesenen Gejammer nicht mehr weit. Dann müsst ihr euch plötzlich anstrengen, wenn ihr noch mitspielen wollt. Das wär doch mal was!