Ich war am Montag im Landtag NRW zu den Tagen der Medienkompetenz eingeladen, mit dem Datenschutzbeauftragten des Landes Ulrich Lepper zu diskutieren. Es war eine nette Veranstaltung und Lepper ist ein sehr freundlicher Mensch. Ich hingegen war etwas krawallig drauf, was auch mal vorkommt. Und immer wenn ich in Datenschutzdiskussionen krawallig drauf bin, bringe ich eine Dichotomie ins Spiel, die die meisten Zuhörer erst verwirrt und dann erbost.
Ich sage, dass ich Datenschutzbedenken gegen den deutschen Staat durchaus verstehen kann und sogar teile – immerhin droht er mir mich mit Polizei, Gefängnissen und Gewaltmonopol zu disziplinieren – ich aber gegenüber amerikanischen Internetfirmen keinerlei Gefahrenpotential erkennen kann. Dann geht ein Raunen – manchmal ein Lachen rum. Es gibt ungläubige Nachfragen mit empörten Blicken. Und wenn ich dann noch einen draufsetzen will, erzähle ich, dass ich ja meine Daten lieber auf amerikanischen Servern liegen habe als auf Deutschen, denn da kämen deutsche Behörden schließlich schwieriger ran. Spätestens da wird die Wut beim ein oder anderen Zuhörer förmlich spürbar.
Ich finde meine Argumentation allerdings völlig nachvollziehbar und habe bislang kaum nennenswerte Gegenargumente zu hören bekommen. Das, was die Leute da so aufregt, scheint mehr ein anderer Trigger zu sein. Ein Trigger, der bei sich Links verstehenden Leuten (vor allem einer bestimmten Generation – ich komme darauf zurück) besonders heftig wirkt. Der Trigger ist der „amerikanische Konzern“ und er löst einen Blumenstrauß an multiplen Gefühlen der Abwehr aus. Die Tatsache, dass der „amerikanische Konzern“ in irgendeiner Hinsicht besser/sicherer/unschuldiger/ethischer oder so etwas sein kann, als ein deutsches Äquivalent kann nicht sein, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Eine solche Behauptung ist immer eine effektive Provokation!
Als Google seine Kampagne gegen das Leistungsschutzrecht gestartet hatte, fasste ich mir an den Kopf und dachte „Just Not Helping!“. Wenn Google als Google mit offenem Visier gegen die Position des guten, alten deutschen Qualitätsjournalismus (das Residuum des deutschen Bildungsbürgers!) antritt, dann kann es nur verlieren. Von links bis rechts schließen sich sofort die Reihen gegen den „amerikanischen Konzern„, der ja „nur seine eigenen Interessen verfolgt“ (Im Gegensatz natürlich zu den integren deutschen Verlagen, die nur die Demokratie retten wollen!). Und tatsächlich war haargenau diese Argumentation in ihrer einfältigen Schlichtheit von Spiegel Online bis FAZ über Süddeutsche nachlesbar. Was aber ebenfalls zum Ausdruck kam, war die bis ins groteske übersteigerte Bigotterie, die hier von den Verlagen betrieben wird (schön auseinander genommen von Stefan Niggemeier). Und da merkte ich: Vielleicht hat die Google-Kampagne ja doch etwas gutes. Vielleicht sollte man diesen Konflikt, der da im Untergrund die Debatte mitbestimmt mal herauskramen und in aller Offenheit darlegen.
Denn dieser Konflikt ist ein Stück weit ein Generationenkonflikt. Die, die da von Rechts aber vor allem von Links ihre reflexhaften Ressentiments ausleben, sind meist in einer Zeit politisiert worden, in der Antiamerikanismus mindestens zum guten Ton gehörte. Nicht, dass es immer wieder Handlungen der USA kritisierenswürdig gewesen seien, aber diese Antipathie in der Linken Szene ging sehr viel tiefer und war grundsätzlicher. Sie ging meist einher mit einer undifferenziert einseitigen Haltung zum Nahostkonflikt (Zionismus = Imperialismus) und einem grundsätzlichen, kulturpessimistischen Mißtrauen gegen die „Konsumgesellschaft“. Die Protagonisten dieser in ihrer Reinheit noch unverwässerten Linken sind meist in den 80er Jahren politisiert worden und sitzen heute längst an den politischen Fleischtöpfen.
Heute nennt man diese Art von Linkssein „Antiimp“ – für „antiiperialistisch“. Man nennt sie aber natürlich erst so, seitdem sich in den 90ern aus ihr heraus etwas abspaltete und gegen sie wendete: die Antideutschen. Die Antideutschen brachten den linken Diskurs in Aufruhr, indem sie den Antiimperialismus einer radikalen Ideologiekritik unterzog. Die Antideutschen gingen dabei ziemlich weit, von Rufen wie „Bomber Harris do it again!“ über „Deutschland Verrecke!“ bis hin zu einer ihrerseits wieder sehr einseitigen und unbedingten Israelsolidarität. Aber hinter der Provokation stand eine gültige Analyse: die Linke hatte es sich mit ihrem Antiamerikanismus zu leicht gemacht und war offen für antisemitisches Gedankengut.
Ebenfalls in den 90ern brach der Popdiskurs über die Linke Szene hinaus den kulturpessimistischen Grundton der „Konsumgesellschaftskritik“ auf. Mit affirmativen Gesten umarmte man Produkte der Massenproduktion, übte man Identitätskonzeptionen anhand von Kosumgewohnheiten und schloss so ins Herz, was längst zum Leben gehörte. Der Popdiskurs ist nicht im strengen Sinne links, hatte aber auch dort eine enorme Strahlkraft. Es lässt sich, denke ich, von dort eine Linie bis zur heute allgemein offen getzeigten Gaget-Begeisterung ziehen (woran im übrigen auch den CCC mit seinem „Spaß am Gerät“ nicht völlig unschuldig ist). Was ebenfalls ein Bereich ist, in dem die Linke heute oft zwischen den Stühlen sitzt. Emphatische, oft politische Smartphonenutzung und „amerikanische Konzerne Dooffinden“ geht meist nur mit schmerzhaften Selbstwidersprüchen zusammen.
Ich denke, es sind diese beiden Diskurse – die Antideutschen und der Popdiskurs – die einen Generationsbruch ausmachen, zwischen einer Linken die in den 80ern und einer Linken die in 90ern politisiert wurde. Das heißt nicht, dass die heute 30jährigen alles antideutsche Popper sind und es unter ihnen keine Antiimps gäbe. Aber das Linkssein ist einfach ein anderes, wenn man mit diesen Diskursen zumindest konfrontiert wurde. Und es ist eben dieser Bruch, den man in der Netzszene ausmachen kann, der in der aktuellen Diskussion zum Leistungsschutzrecht zum Ausdruck kommt.
Für mich ist es etwas völlig normales, dass ein Player in diesem Spiel wie Google hier seine Interessen vertritt. Und ich habe kein Problem damit, Seit an Seit mit dem Konzern gegen das Leistungsschutzrecht zu kämpfen, wenn unsere Interessen sich matchen. Ein Padeluun z.B. tut sich da wesentlich schwererer.
Hier, beim Leistungsschutzrecht, lässt sich die antiimperialistische Denke recht gut herausextrahieren, denn die altlinken Netzaktivisten distanzieren sich völlig ohne Not vom „amerikanischen Konzern“, dessen Interessen sie teilen. Der Datenschutzdiskurs ist da viel verstellter. Da ist nicht mehr zu trennen, was jetzt reines Ressentiment und was echte Besorgnis ist. Aber es besteht kein Zweifel, dass die altlinken Reflexe beim Datenschutz ebenfalls die Debatte bestimmen. Und ich finde das immer extrem anstrengend.
Ich glaube, wir sollten diese Debatte jetzt mal führen. Abseits der üblichen Linken Foren und Medien, hier in den Blogs der sogenannten Netzgemeinde sollten wir die Gretchenfrage stellen: wie stehst du eigentlich zu „amerikanischen Konzernen“? Wir sollten mal hervorkehren, wie das so ist mit dem eigenen Antiamerikanismus, wie das so ist, mit der an die Grenze zum Selbstwiderspruch gelebten Konsumkritik. Wir sollten mal anfangen Apple, Google, Microsoft und so weiter als das zu sehen, was sie sind: Unternehmen mit Gewinnabsichten, aber auch eine Ansammlung von Menschen mit bestimmten Werten und Vorstellungen für die Zukunft. Wir sollten mal auseinanderklamüsern, was Kritik ist und was Ressentiment, wem wir in Wirklichkeit vertrauen und welche Gründe wir dafür haben.
Nach dem Text fühl‘ ich mich besser. Bin seit zwei Wochen auf einem Fakten-Tripp und versuche so, Ressentiments zu vermeiden. Bei ging’s um sedimentierte Eindrücke die sich im Unterbewusstsein festgesetzt haben und den Umgang mit Diskurspartnern teils unangenehm beeinflussen. Buzzwords, Trigger etc beobachten ja einige und spielen auch damit, selten wird aber auf die Sozialisierung hingewiesen.
Die Schlussfolgerung könnte sein, offensiv mit dem Thema umzugehen und unterschiedliche Kommunikationskanäle zu kommunizieren, die es uns vielleicht auch vor uns selbst schützen. Damit das klappt muss sich natürlich erst das Bewusstsein, die Akzeptanz und die Bereitschaft zu einem offenen Umgang mit der Problematik einstellen.
Aber das ist das schöne an politischer Arbeit im Netz. Die Kommunikation ist inzwischen so schnell, dass diese Prozesse nicht mehr Jahrzehnte brauchen.
Super Analyse, super Vorschlag! Vielleich mache ich mal was zur amerikanischen Konzernkultur und zum deutschen Unwohlsein daran.
Den Diskurs über den Dr. Evil der (natürlich amerikanischen) Technologiekonzerne zeichnet mein inzwischen etwas älterer Blogartikel nach: Google, Apple, Microsoft: Who’s bad? In etwa gleichauf zu nennen wären darüber hinaus noch die Kandidaten Facebook und Amazon.
Das Problem: Die angeblich amerikanischen Konzerne geben deine Daten auch fleißig an deutsche Behörden weiter. Es ist ja nicht so, dass Google, Facebook & Co den deutschen Behörden keine Auskünfte geben würden.
dort steht auch nicht, dass das unmöglich wäre, aber tatsächlich sind die prozeduren für die behörden meist umständlicher und sehr viel aufwändiger.
Da ist ja einiges dran, leider wahr aber auch: Diese GoogleKampagne hat grad nicht geholfen. Schade, schade.
Hey,
ich kann verstehen, dass manche Linke Reflexe merkwürdig wirken und einem den Spass (am Geräte streicheln) verderben [das geht mir auch beim Essen so, wenn einer einem z.B. Fotos von Legebatterien oder der Düngemittel Industrie und den GenSoja Brandrodungen über den Tisch reicht – ganz zu schweigen davon wenn man ins Flugzeug steigen will, um mal schnell übers Wochenende nach Paris zu fliegen und dann auf dem Weg zu Flughafen einen „deportation class“ Aufkleber sieht …etc. ect. ließe sich endlos fortsetzen…]
Zum einen denke ich, da die Verknüpfung von multinational operierenden Konzernen und Politik nicht mehr zu trennen ist, kann ich nicht so den Unterschied in der Bedrohungslage des Einzelnen sehen. (Wenn in Amerika der Strafvollzug privatisiert ist/wird finde ich das auch eher beängstigend als befreiend … )
Zum Anderen ist ist das Gewaltmonopol des Staates natürlich immer auch eine Bedrohung des Einzelnen, aber solange jeder Einzelne gleichberechtigt am Staat teilnehmen kann ist es mir lieber, als wenn geschlossene und intransperente Konzerne meine Daten filtern, profilieren, aggregieren und dann zur „freien Verwendung“ and die Behörden übergeben/verkaufen … m.M.n. konstruierst du da einen Dualismus der so nicht wirklich gegeben ist und der zusehr in S/W oder Gut und Böse sich verwässert … Ich denke es solte eher diskutiert werden WIE der Einzelne frei am Staat teilnehmen kann, um das angesprochene Gewaltmonopol (mit) zu kontrollieren und insbesondere die Unversehrtheit unserer digitalen Datenkörper zu schützen (Datenschutz) – oder überhaupt erst einmal zu gewährleisten …
Grüße
Ezra
Den LSR-Streit zum Generationskonflikt aufzublasen, halte ich für wenig hilfreich. Sehe ich auch nicht. Es geht doch um ganz was anderes, es geht um den Kapitalismus, was er leistet, was er abfordert und was er global anrichtet.
Ja, er leistet viel. Er hat uns unsere Gadgets gebracht zu verträglichen Preisen und das Internet obendrein, denn das ist ja letztlich auch eine kommerzielle Veranstaltung. Wenn damit nichts verdient würde, gäbe es das schlicht nicht, auch wenn es anders entstanden ist. Denn eine mit Markt organisierte Gesellschaft ist innovativer.
Kommen wir zu dem, was er abfordert. Das nennt Google zum Beispiel „Freiheit“. Die sei bedroht. Unser aller Freiheit ist bedroht durch die Monetarisierung von Textschnipseln. Wie lächerlich ist das eigentlich. Typisch Kapitalismus, würde ich sagen, denn dem geht es am besten, wenn die Freiheit total ist. Denkt er zumindest. Ist aber nicht so. Denn ohne regulierte Märkte entstehen fast zwangsweise Monopole, Kartelle, Oligopole. Die historischen Beispiele sind Legion. Muss man nicht drüber reden. Kurzum: der Forderung des Kapitalismus nach absoluter Freiheit MUSS widersprochen werden. Sonst ist der gesellschaftliche Kollateralschaden zwangsweise da. Nun kann man darüber streiten, welche Freiheiten im Fall Google eingeschränkt werden müssen. Datensammelei? Naja, gut, glauben wir denen mal, dass alles nur zu unserem Besten ist. Kann aber auch Propaganda sein. Man weiß es nicht. Fair Use? Darf man den die Suchergebnisse, die Google auf seinen Seiten veröffentlicht, abgreifen, für eigene Zwecke monetarisieren, ohne Google zu beteiligen? Irgendwie nicht oder?
Nun zum dritten Punkt. Was richtet der Kapitalismus global an? Einiges. Bestes Beipiel ist China. Unsere Gadgets sind doch nur so billig, weil sich in China diejenigen, die die Dinger herstellen, nicht organisieren dürfen, um bessere Entlohnung und Arbeitsbedingungen für sich zu erstreiken. Simpel. Deswegen ist die Rede von „amerikanischen Konzernen“ irgendwie auch nur son Propagandtrick. Eigentlich sind es chinesische. Dort herrscht nämlich die Freiheit, die sie meinen.
Kurzum: LSR ist doof. Die Verleger sind ganz doof. Aber Google, die nirgendwo sagen, dass es ums Geld geht, mit ihrem unsäglichen Freiheitsblabla ist allerdings auch doof.
Bei der ersten Erwähnung von „Linke Szene“ wollte ich erstmal nicht weiter lesen, habe es dann aber doch getan. Viele Deiner Punkte finde ich recht einleuchtend, möchte aber dazu noch was loswerden.
Ich finde diese Linien, an denen Du die Grenze ziehst, einigermaßen beliebig gewählt. Zumindest in meiner Wahrnehmung war die „Linke Szene“ eigentlich schon immer am ehesten vergleichbar mit der Grungebewegung: Die Bezeichnung ist nur ein Sammelbegriff für etwas, was keinesfalls so homogen ist, wie die Außendarstellung es zum Zwecke des Verständnisses erfordert. (Gerade springt in meiner Playlist „Polarized“ von Carcass an, wie passend! 🙂 ) Antideutsche schmeißen einem beim Thema Linke Szene immer gern Ausschnitte aus Das Leben des Brian um die Ohren, in denen die 68er- und Studentenbewgung jener Jahre persifliert wird, aber schon da ist die Zersplitterung der Gruppierungen ein Thema. Ich glaube, man findet in einem Raum voller Linker kaum zwei, deren Ansichten so ähnlich sind, dass man sie unter einem Banner vereinen könnte.
Und noch etwas, das betrifft aber nicht nur Dich: Ich finde, gerade in letzter Zeit (?) wird „Reflexe“ recht inflationär gebraucht, und wie ich finde zu oft pejorativ für „Reaktion mit Argumentationsmuster, das ich eigentlich verstehe, aber nicht erläutern möchte“. Meist an einer Stelle, wo es um zunehmend emotionale Dinge, also Wertvorstellungen geht. Und die finde ich, wenn sie nicht dezidiert menschenverachtend sind, eigentlich respektwürdig.
Insgesamt aber ein schöner Artikel. 🙂
Just my 2 cents. 🙂
Pingback: | steve-r.de
Pingback: Wie stehst du eigentlich zu „amerikanischen Konzernen“? — neunetz.com
ich denke das Problem mit amerikansichen Konzernen sehen viele auch darin, dass sie CIA/NSA/FBI/DHS freien Zugriff auf ihre Daten gewähren müssen. Gängige VT sehen Facebook und Google auch nur als Datamining-Operation des militärisch-industriellen Komplexes (der angeblich auch hinter den Venture-capital investoren steckt, die diese ganzen Internet-Startups finanzieren). Und da Deutschland auch nur ein Vasallenstaat, pardon NATO-Bündnisparter der USA ist sind deine Daten dort keineswegs sicher vor dem deutschen Staat.
lieber mspro, ich stelle mal ein oder zwei Antithesen auf
Die Mutmaßung, dass Prantl, Hanfeld & all die anderen Verlagsvertreter die momentan auf Google schimpfen aus einer anti-imperialistischen /antiamerikanisch motivierten Position heraus agieren erscheint mir, vorsichtig ausgedrückt, kühn.
Die Verlage müssen nun schon einige Zeit mit ansehen, wie ihre einstige publizistische Vormachtstellung ihnen sukzessive unter den Füßen wegbricht. Google als größter Infrastrukturbetreiber des Internets hat an diesem Strukturwandel einen gehörigen Anteil und ist gleichzeitig Alphatier und Symbol für den Siegeszug des Netzes. Was wir erleben sind Rückzugsgefechte von Verlegern die auf eine stolze Tradition zurückblicken und ihren Bedeutungsverlust nicht kampflos hinnehmen wollen – verständlich.
Aber dass sich in diese Motivlage Ressentiments gegen das „böse“ amerikanische Unternehmertum mischen kann ich nicht erkennen.
Wäre Google ein französischer, britischer oder chinesischer Konzern, dann wären die Unkenrufe genau die selben. Selbst bei den mir geläufigen linken Meinungsmachern die sich in diesem Zusammenhang in Kapitalismuskritik ergehen fokussiert die Sorge weniger auf böse US-Unternehmen als vielmehr auf die länderübergreifende Vorherrschaft des globalen Kapitals.
Darüberhinaus halte ich unsere überwiegend bürgerlich-konservativen Presse der Verbreitung einer antiimperialistischen Grundstimmung für unverdächtig – da wird im Zweifelsfall eher auf Staatsräson gemacht und die Notwendigkeit der transatlantischen Partnerschaft und das Projekt des Westens beschworen.
Ein Wort noch zu deinen Ausführungen zu den Varianten des Links-seins:
Ich plädiere dafür, Anti-Amerikanismus und -Imperialismus nicht zusehr zu verwursten, da es sich um zwei im Grunde gegenläufige Anschauungen handelt.
Erstere ist ein psychosozialer Abgrenzungsreflex der mit der Stereotypisierung der Fremdgruppe einhergeht („der ignorante, fette Ami“) und trägt strukturell menschenfeindliche Charakteristika.
Solche Stimmungen sind keinesfalls dezidiert links, sondern überall im politischen Spektrum vorzufinden.
Eine antiimperialistische Haltung dagegen richtet sich (idealtypisch verkürzt) gegen politische Hegemonialmächte die ihre partikularen Interessen unter Zuhilfenahme ihres Gewaltpotentials durchsetzen und dabei auf das ungeschriebene Recht des Stärkeren setzen.
Daraus folgt: Eine in ethischen Grundsätzen fundierte kritische Haltung gegenüber der Ausübung gewaltvoller amerikanischer Machtpolitik ist keinesfalls in eine Schublade zu stecken mit der argwöhnischen, ressentimentbeladenen Haltung gegenüber amerikanischer Kultur/Wirtschaft/Gesellschaft. Wenn es auch Zeitgenossen gibt, die beide Haltungen in sich vereinen.
Den von dir suggerierte Wirkungszusammenhang Antiimperialismus – Antizionismus – Antisemitismus halte ich für eine Scheinkausalität: Eine ethisch begründete Herrschaftskritik steht nicht im kausalen Zusammenhang mit rassistischer Menschenfeindlichkeit. Letzteres macht sich als billige Form der Selbstaufwertung seit jeher über alle politische Lager hinweg bemerkbar. Freilich ist die Motivlage bei Kritikern nicht immer eindeutig zu bestimmen – manch einer der die Juden noch nie leiden konnte hat im Antizionismus ein salonfähiges Ventil für Stimmungsmache gefunden. Der Rückschluss aber (der bei ein wenig anklingt), dass diejenigen, die ihre Stimme gegen Fremdbestimmung und Entrechtung des palästinensischen Volkes erheben eine Neigung zu Judenfeindlichkeit haben, ist damit nicht statthaft.
TL;DR
es lohnt sich um des analytischen Mehrwerts zwischen Anti-Amerikanismus, -Imperialismus und -Kapitalismus zu differenzieren.
ich finde das format sehr gelungen. beschreibung eines empirischen phänomens mit problematischem symptom. einführung einer ’non-trivialen‘ (in diesem fall historischen) differenz, die das symptom tatsächlich erklärt und wenn vl. nicht auflöst, dann doch zumindest den blick des anderen verständlich macht. alles kompakt und ohne sich auf unnötige nebenschauplätze zu begeben.
„Ich glaube, wir sollten diese Debatte jetzt mal führen.“ Errr.. ich bin nicht überzeugt. Ich weiß nicht genau, ob du mich zu den altlinken Netzaktivisten zählst, ich nehme es mal an. Ich finde in der Regel, ein ordentlicher Schuss Antiamerikanismus schadet nicht, der erwähnten Konzerne wegen, was mich sicher qualifiziert. Andererseits würde ich das nie und nimmer in der Öffentlichkeit sagen, weil der Begriff so durchdiskutiert ist, dass ich auf der Stelle Gähnkrämpfe kriege, wenn das aufkommt. Und weil es sofort mit Antisemitismus gleichgesetzt wird, und das ist definitiv eine Haltung, der ich nichts abgewinnen kann. So einfach ist das nicht.
„Die Linke“ – das ist auch so eine verallgemeinernde Provokation, wie du sie liebst, damit alle anfangen zu schreien, oder? Zu meinen (linken, wenn du willst) Grundüberzeugungen gehört, dass die Welt nicht einfach zu erklären ist, dass es meist mehr als zwei Seiten zu einem Problem gibt, und dass, wenn ich etwas ablehne, deswegen das Gegenteil nicht richtig ist. Heißt: mich stören Sachen an Google, trotzdem halte ich es eher mit Herrn Niggemeier. Was den nahen Osten angeht, schlage ich mich in der Regel auf die Seite der Friedensbewegung, die sich in Israel wie Palästina zur jeweiligen Regierung oppositionell versteht.
Die Annahme, es gäbe heute, im Jahr 2012, eine nennenswerte antiimperialistische Bewegung, finde ich erstaunlich. Gefühlt würde ich sagen, die sind Ende der 80er eingebrochen und heute kurz vor dem Pensionsalter. Übrigens hießen die schon so, bevor die Antideutschen entstanden. Nach ihnen bzw. parallel zu ihnen gab es nämlich die Autonomen, die nicht bloß der schwarze Block waren, sondern eine eigene politische Richtung, die sich von den Anti-Imps deutlich unterschieden. Die Antideutschen kamen später und wurden, wenn ich mich richtig erinnere, in einem Buch von Robert Kurz mal ausführlich besprochen (http://d-nb.info/969146515 , Inhaltsverzeichnis: http://d-nb.info/969146515/04). Wolf Wetzel schon 2002 http://www.gegeninformationsbuero.de/frameset.html?/antidoitsch/antidoitsch.html (Vorsicht natürlich, das Gegeninformationsbüro war quasi gleichbedeutend mit ultra-anti-imp. Also früher.)
Kurz‘ Buch ist 10 Jahre alt. Autonome vs. Anti-Imps eher gut 20 – 25 Jahre.
Also – das ist sicher nicht falsch, das immer wieder mal zu diskutieren. Und ganz sicher auch sinnvoll, linke, antiautoritäre, oppositionelle, kritische Geschichte(n) und Erfahrungen kennenzulernen und zu überlegen, was daraus geworden ist und warum manche Sachen heute so sind, wie sie sind. Aus Mangel daran werden ja gern dieselben Fehler wieder gemacht. Ich muss aber sagen, dass ich das in meinem Leben schon so viel und ausführlich gemacht habe, dass ich dem nicht mit Begeisterung entgegensehe und neu ist das jedenfalls ganz bestimmt nicht. Ich würde mich weiterhin ungern entweder in die eine Schublade (hasst Israel, hasst Amerika, hasst Google) noch in die andere (liebt Israel und Bomben-schmeißen, und das freie Netz) begeben. Ich würde sagen, dass es immer nur sehr wenige waren, auf die das passte.
Ich glaube auch einfach nicht, dass sich aus der Haltung zu Amerika irgendwas ableiten lässt. Was soll denn das überhaupt sein? Ich finde zB die meisten US-AmerikanerInnen im Umgang angenehmer als die meisten Deutschen. Dafür finde ich das Krankenversicherungssystem bei uns deutlich besser. Will sagen: Ich habe keine Haltung zu Amerika allgemein.
Die Konzepte oder gar Bewegungen ‚Antideutsche‘ und ‚Anti-Imps‘ gibt es so nicht mehr, behaupte ich. Seitdem hat sich unendlich viel getan und die Welt ist auch komplizierter als Entweder Oder.
Das linke Milieu war auch in früheren Jahrzehnten diffus und zersplittert.
Sehr schön finde ich die Beobachtung, wie allein der Gebrauch bestimmter Worte die Assoziationen in eine bestimmte Ecke flitzen lassen. Man könnte z.B. auch von „modernen Technologiefirmen“ sprechen und wir sind wieder nah dran an der Gefühlswelt der Utopien und der …. „Fortschrittlichkeit“.
Bei Apple, Google und Microsoft habe ich tatsächlich keinen anderen Vorbehalt, als dass sie amerikanischem Recht unterliegen. Speziell Google mag ich gut leiden – fast ein Konzern, der aus dem Geist der Wissenschaft heraus geführt wird – es gibt nach meiner Erinnerung historisch kein anderes Unternehmen, dass so viel Geld und Aufwand in utopistische Projekte investiert. Doch wie auch immer, amwerikansiche Unternehmen sind längst zwangspatriotisiert. Deine Daten sind da technisch sehr sicher, rechtlich können sie jederzeit gegen dich verwandt werden.
Schon vor einiger Zeit hat daher ein niederläbdischer Minister die niederländischen Unternehmen gewarnt, wichtige Dokumente bei amerikanischen Cloud-Diensten abzuspeichern: „Der Politiker begründete seine Haltung mit dem amerikanischen Antiterrorgesetz Patriot Act. Dieses verpflichtet Firmen mit Hauptsitz in den USA, mit den US-Ermittlungsbehörden zusammenzuarbeiten: „Der Politiker begründete seine Haltung mit dem amerikanischen Antiterrorgesetz Patriot Act. Dieses verpflichtet Firmen mit Hauptsitz in den USA, mit den US-Ermittlungsbehörden zusammenzuarbeiten. ‚Das bedeutet grundsätzlich, dass Firmen aus den Vereinigten Staaten von solchen Angeboten und Verträgen ausgeschlossen sind‘, schrieb der Minister in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage. So soll verhindert werden, dass US-Behörden Zugriff auf sensible Daten der Niederländer bekommen.“
Mit antiamerianischem Reflex hat das nichts zu tun, nur mit Überlegung. Ansonsten ist es ja nicht, als würde es den Schlachtruf „America first“ nicht mehr geben. Insbesondere der amerikanische Rechtsimperialismus hat gewaltige Dimensionen angenommen.
Eine interessante ideologische Gretchenfrage scheint’s zu sein. Eine Sache kommt mir allerdings deutlich zu kurz in deinen Betrachtungen. Die Dichotomie, die du „ins Spiel bringst“ – binäre Opposition, is‘ klar, die fasst man nur mit spitzen Fingern an, bedient sich ihrer nur und macht sie sich nicht zu eigen;) – ist ja unmittelbar zweidimensional.
Es geht nicht (nur) um das deutsche Amerika, sondern um unser Verhältnis zu Staaten einerseits und zu Konzern andererseits. Es scheint in diesem Zusammenhang wenig gewonnen durch eine genauere Betrachtung der Kapitalismus. Wie die Deutschen ihren Staat wahrnehmen spielt denke ich ein größere Rolle. Vielleicht ist also die (direktere) Gretchenfrage: wie hält’s du es mit deinem Staat?
danke für die ergänzugen @anne. mir ging es tatsächlich auch weniger darum, den aktuellen konflikt auf einen konflikt antiimps und antideutschen zu reduzieren (ich denke, keine der akteure würde sich da klar einordnen) sondern mehr, dass die damalige debatte eine kerbe in den diskurs geschlagen hat, die im denken und argumentieren heute noch spürbar ist. ob es dafür den kmapf antiimp vsl antideutsch heute noch gibt, ist somit unerheblich.
Ich formuliere das ähnlich wie du, Ich sage „Wenn meine Daten auf Googleservern liegen braucht der Staatsanwalt einen Tag länger um dran zu kommen. (Dann wechsle ich die Perspektive und sage:) Sie haben dann also einen Tag länger, um sich nach Südamerika abzusetzen.“
Durch den Abschluss-Gag werden die Leute nicht so wütend sondern sind eher verblüfft.
Ich hatte mal ne längere Dikssussion mit padeluun zu dem Thema, er meint halt (ich hoffe ich gebe das korrektn wieder): wenn der Staat die Daten hat ist er gesetzlich verpflichtbar damit auf eine bestimmte Weise umzugehen.
In den letzen 20 Jahren habe ich da aber eeeetwas das Vertrauen in die Kompetenz des Staates sagen wir: in Datenbankfragen verloren.
(Sorry, dieser hier nur, damit ich followups per mail bekomme, Häkchen vergessen.)
Es gibt in der Analyse ein kleines historisches Problem: Auch in der Generation älterer Linker gab es – trotz der Proteste gegen den Vietnamkrieg – Amerika-Enthusiasten. Was wüssten wir über amerikanische Lyrik ohne Rolf Dieter Brinkmann oder ohne Carl Weidner?
Du versuchst über die schwierige Datenschutz-Debatte in Deutschland ein Plädoyer für amerikanische Firmen zu halten. Zumindest gewagt, für mich sehr konstruiert.
Das beste daran ist aber, dass Du Probleme der Informationsgesellschaft mit politikwissenschaftlichen Argumenten von vor 40 Jahren erklären willst; und das auch noch sehr pauschalisierend („die Linke“, „die Verlage“, „die Konzerne“).
Ich verstehe Deinen Gedanken zur Kritik an meist amerikanischen Großkonzernen und dass hier eine Allgemeinverteufelung keinem hilft. Diese Gedanken aber mit politischen Kampfworten, ein paar qualifizierten Fremdwörtern und so deutlichen Verallgemeinerungen zu begründen, finde ich unpassend.
Das da dem einen oder anderen die Hutschnur platzt, ist verständlich.
Pingback: Aufgelesen … Nr. 56 – 2012 | Post von Horn
Nur ein Satz: Das Leben ist nun mal durch und durch widersprüchlich.
Ich meinte natürlich Carl Weissner als genialen Übersetzer der Beat-Literatur.
Pingback: BRA010 – Irgendwas mit Medien
Pingback: Mehr Inhalte, bitte… « …Und So Zeug
Pingback: forebber links #02 » antischokke
Ooooh! Der mspro ist irgendwie diffus modern trend-linksoid, im Gegensatz zu den „altlinken Netzaktivisten“, die irgendwo noch im Antiamerikanismus der Achtundsechzigachtziger feststecken.
Was für ein Bullshit, und was für ein Scheingegensatz zwischen Staat und Unternehmen, den du hier aufbaust. Wenn die Daten da sind, dann werden sie prinzipiell auch staatlich genutzt. Die Statistik über Googles Herausgabe von Daten an staatliche Behörden ist eindeutig.
Deine Denunziation von Netzaktivisten als irgendwie ideologisch in den 80ern Hängengebliebene Anti-Imps ist abwegig und keine Analyse, sondern eine Frechheit. Anderen geht es um eine differenzierte Betrachtung und eine kritische Haltung gegenüber allen Akteuren, dir geht es wieder mal nur um Pose.
Pingback: Bürgerrechtspaternalismus | tante.blog
Vielleicht hat jemand die Zeit und Lust sich diesen für die Diskussion nicht ganz unwesentlichen Text durchzulesen:
http://pip.net/monopoly/comment-page-1#comment-2677
Ansonsten: Was Alex sagt (so.o.)…. +1
SH
Dass du etwas „krawallig“ drauf bist, merkt man schon am Text. Ich finde den leider etwas unsachlich und einseitig. Inhaltlich werden wohl einige Meinungen und Argumente passen, aber aufgrund der Art wie du sie vermittelst, fällt es schwer, sie sachlich aufzunehmen.
z.B.
[…] Von links bis rechts schließen sich sofort die Reihen gegen den “amerikanischen Konzern“, der ja “nur seine eigenen Interessen verfolgt” (Im Gegensatz natürlich zu den integren deutschen Verlagen, die nur die Demokratie retten wollen!). Und tatsächlich war haargenau diese Argumentation in ihrer einfältigen Schlichtheit von Spiegel Online bis FAZ über Süddeutsche nachlesbar. […]
[…] immerhin droht er mir mich mit Polizei, Gefängnissen und Gewaltmonopol zu disziplinieren […]
[…] Ich finde meine Argumentation allerdings völlig nachvollziehbar und habe bislang kaum nennenswerte Gegenargumente zu hören bekommen. Das, was die Leute da so aufregt, scheint mehr ein anderer Trigger zu sein. […]
Amerikanische Unternehmen unterliegen übrigens keinene europäischen Datenschutzstandards.
Pingback: BRA010 – Irgendwas mit Medien | weezerle
Pingback: WMR54 – Hitlervergleiche für 300 (mit Anne Helm) | Wir. Müssen Reden
Ich bin etwas spät dran, und das ganze Antiimp-/Antiamerikanismus-Durcheinander ist hier ja auch schon zur Genüge diskutiert. Was mir wichtiger ist: Siehst Du, Michael, kein Problem darin, dass Du als Deutscher kein Mitspracherecht dabei hast, wie der Umgang mit Daten bei Google (oder anderen „amerikanischen Konzernen“) reguliert wird? Wenn nicht, liegt das daran, dass Du überhaupt keine sinnvolle Mitsprachemöglichkeit bei der Regulierung in Deutschland siehst – also davon ausgehst, dass wir in einem autoritären, wenn nicht sogar totalitären Staat leben? Ich kann für mich sagen: Mir ist es erheblich lieber, wenn sich meine Daten auf Servern befinden, die nach Gesetzen reguliert werden, an deren Zustandekommen ich einen Anteil habe / haben kann. Dass dann auch der Zugriff der Ermittlungsbehörden, an dessen Regulierung ich ebenfalls einen Anteil habe / haben kann, nach diesen Gesetzen funktioniert, nehme ich – offenbar im Gegensatz zu Dir, wenn Dein Argument mehr ist als nur eine Provokation – lieber in Kauf, als wenn er nach Gesetzen funkioniert (Patriot Act), auf die ich überhaupt keinen Einfluss nehmen kann, und die wesentlich beängstigender sind.
Ich finde die Frage keineswegs irrelevant, aber eben zweitrangig. Ich habe wenig Angst vor dem Patriot Act. Warum? Weil ich der amerikanischen Regierung so gut wie völlig egal bin.
Ich bin der deutschen Regierung aber eben nicht egal. Und auch wenn ich hier ein gewisses Maß an Mitbestimmung habe, sehe ich das nicht als Garantie für Fairness an. Wie könnte ich, im Land der Bildleser? Die Mitbestimmung ist nun mal marginal und schützt mich im zweifel vor gar nichts. Würde ich die tatsächlichen Auswirkungen beider Argumente gewichten wollen – also das Desintresse der Amerikaner an meiner Person vs. der Mitbestimmung hierzulande – wäre das Verhältnis wohl eher: 95:5.