Mir ist dieser Wahlkampf unangenehm. Und das meine ich nicht im Sinne, dass er mir einfach nur auf den Keks geht, wie es eigentlich alle Wahlkämpfe bei allen Menschen tun. Ich meine das auf einer durchaus tieferen Ebene.
Erstens: Nach dem letztem Jahr muss einiges, was wir über die Welt, die Demokratie und die Menschen zu wissen glaubten, in Frage gestellt werden. Nichts davon ist in diesem Wahlkampf präsent. Es ist der technisch standardmäßigste, strategisch routinierteste und inhaltlich weitersoste Wahlkampf, den ich bisher erlebt habe.
Zweitens: In der weltpolitischen, ökologischen und auch der technologischen Situation in der wir (die Welt) uns befinden, sind – meines Erachtens – radikale Maßnahmen zu ergreifen. Und sie sind jetzt zu ergreifen, bevor es zu spät ist. Doch wieder nichts. Gar nichts davon ist in den Wahlprogrammen irgendeiner Partei zu spüren. Nicht mal die Grünen scheinen ihrer eigenen Agenda über den Weg zu trauen.
Aber ich will mich gar nicht so sehr über die Politik auskotzen, denn … ich weiß es doch auch nicht besser. Ich habe keine Konzepte, wie man heute Wahlkampf machen müsste. Im Grunde bin ich immer noch nicht sicher, was wir aus dem letzten Jahr lernen können. Ganz ehrlich: Ich bin immer noch ein bisschen im Schockzustand. Und meine radikalen Agenden zu Klimawandel, Künstliche Intelligenz und Nord Korea sind ebenfalls noch ungeschrieben. Weiß ich, was jetzt zu tun ist? Wenn ich ehrlich bin: nein.
Hinzu kommt, dass es Deutschland als ökonomisch-politische Entität objektiv und vor allem auch relativ zu den meisten Staaten in und außerhalb der EU erstaunlich gut geht. Es ist doch irgendwie alles relativ okay. Es gab jedenfalls schon schlechtere Zeiten. Ich kann die Politik irgendwie verstehen. Warum soll man die Leute also mit großen Veränderungen erschrecken? Das ist keine gute Wahlkampfstrategie.
Es ist also ein bisschen wie die Stille vor dem Sturm. Und doch bin ich überzeugt, dass der Sturm die nächste Legislaturperiode kommen wird. Und ich habe nicht das Gefühl, dass wir gut gerüstet sind oder dass irgendeine der Parteien auf diese Fragen überzeugende Antworten hat. Sicher kann man sagen, dass es Parteiprogramme gibt, die tendentiell schon irgendwie eher in die richtige Richtung gehen. Aber ich halte die Parteiprogramme eh nur für begrenzt aussagekräftig, denn auf die Umwälzungen, die auf uns zukommen, kann man nur mehr reagieren, als proaktiv irgendeine Agenda durchzusetzen.
Das Paradoxe ist nun, dass mich all das eher konservativ denken und wählen lässt. Nein, ich werde nicht die CDU wählen, aber doch präferiere ich eine Regierung Merkel vor einer Regierung Schulz. Ich glaube, dass die nächste Legislaturperiode weniger dadurch geprägt sein wird, bestimmte politische Projekte umzusetzen, als vielmehr das Steuer auf rauer See im Griff zu behalten. Und da traue ich Merkel wesentlich mehr zu als Schulz.
Ich werde dieses Jahr die Grünen wählen, nicht trotz der Option auf Schwarz-Grün, sondern mit dem expliziten Wunsch danach.
In vier Jahren wird die Welt eine andere sein. Hoffen wir, dass es bis dahin linke Konzepte und Ideen gibt- vielleicht sogar einen oder eine überzeugende Kandidat/in – mit der man wieder eine visionsgetragene Politik machen kann. Dieses Jahr ist es nicht so weit.
Meinste, schwarz-grün ist eine gute Koalition wenn du der Überzeugen bist, dass es radikale Maßnahmen braucht um die Welt auch in Zukunft zu einem guten oder gar besseren Ort zu machen? Aber, ich weiß es doch auch nicht! Dein Unbehagen kann ich daher gut verstehen. Was ich nicht verstehen kann: Wie viele Menschen davon überzeugt sind, dass es so eigentlich nicht weitergehen kann, aber dann trotzdem immer den gleichen Driss der Problemverwaltung wieder wählen. Natürlich überzeugen die parteigegossenen linken Konzepte oft wenig und sind gelegentlich auch harte Abfucker, aber es braucht wirklich endlich den Mut radikal Neues auszuprobieren. Das ist nicht von Schwarz oder Rot, und von den Grünen auch schon lange nicht mehr, zu erwarten. Eine starke Linke (leider parlamentarisch nur in Form der Parteien Die Linke und Die Partei zu haben) ist daher in einer progressiven Regierungskoalition unersetzlich!
Gut ist hier gar nix. Aber das ist ja das Paradox, das ich zu beschreiben versuche: Ich sehe den Bedarf für radikale Konzepte. Aber so lange es die nicht gibt, bin ich im Zweifel für eine routiniert, reaktive Politik.
Naja, es gibt schon Konzepte oder zumindest Ideen die sich ausprobieren lohnen. Konzepte muss man ausprobieren in kleinen Schritten. Manche sind vielleicht schlecht, dann muss man sie anpassen oder wieder abschaffen. Gesellschaftliche Entwürfe am Reißbrett haben doch nie funktioniert. Aber ein weiter so, uns geht’s doch noch ganz gut, führt zusehends in die Katastrophe.
Ein weiterso wird es sowieso nicht geben, auch wenn sich die Parteien das nicht trauen auszusprechen. Nur werden die Veränderungen eher von außen diktiert, denn von innen entworfen. Ob der Steuerungsphanatasien mancher Parteianhänger kann ich nur ungläubig den Kopf schütteln.
Ich komme aus einer Stadt und einem Land mit schon ziemlich langer schwarz-grüner Tradition und ich kann dir versichern: Nein, das macht es nicht besser.
besser? nein. hier geht es nicht um besser.
das bedürfnis angesichts des weltgeschehens mal auf pause zu drücken kann ich verstehen. aber warum dann nicht spd wählen? damit ist ein weiter-so garantierter. so wies aussieht gibts ja nur schwarz-rot oder jamaika.
Pingback: Links der Woche – Enno Park
Endzeitstimmung überall…das Gefühl einer warmen, trockenen, gemächlichen Fahrt auf den Abgrund zu. Am besten mit einem Glässchen Champagner oder Bier in der Hand. Der Sitz schön warm und weich gepolstert. Ob Abgrund, die berühmte Wand auf die man zufährt oder das Damoklesschwert, das über einem schwingt: ein merkwürdigeres Grundgefühl gab es selten bei einer Wahl: Endzeitstimmung, wie sie sich durch exzessiven Konsum von Badnews-Artikeln eben einstellt. Und ein Wechselbad der Gefühle obendrein. Eben noch ein Artikel, der die Vollbeschäftigung lobt, ein Klick später die Wasserstoffbombe, die den dritten Weltkrieg in greifbare Nähe rücken lässt. Diese irrsinnige mediale Dialektik gilt es auszuhalten, ohne dabei wahnsinnig zu werden. Das ist die Aufgabe unserer Zeit…