Das Grundgesetz als Netneutralityschutz

Während sich da draußen der Juni bis auf die Knochen blamiert, sitze ich mit Sebaso im Salon Schmück und wir diskutieren das weitere Vorgehen in der Netzsperrensache. Einig sind wir uns, dass es eine grundsätzlichere Herangehensweise benötigt. Selbst, wenn wir jetzt hier bei dieser Sache noch gewinnen sollten, gibt es einige sehr große und sehr mächtige und sehr reiche Interessensgruppen, die immer wieder versuchen werden – mit welchem Wahlkampfthema auch immer – Netzzensurinfrastruktur zu installieren.

Dazu kommt, dass ja nicht nur die Rechteindustrie nach der Kontrolle des Netzes giert. Auch die Accessprovider suchen Mittel und Wege das treiben im Netz zu kontrollieren. Effektives Blocken von VoIP-Diensten, Verlangsamung von Bit-Torrenttransfers und das Privilegieren von bestimmten Durchleitungen (um dafür extra abzukassieren) stehen ganz oben auf der Wunschliste. Kurz: das übergeordnete Thema heißt Net Neutrality.

Was also tun, um all dem endgültig einen Riegel vorzuschieben. Das einzige, was uns retten kann, ist – mal wieder – das Bundesverfassungsgericht. Aber das könnte uns sehr nachhaltig retten.

Es gibt doch den schönen Verfassungsartikel 10, und der ist, trotz seines einschränkenden Absatzes 2 durchaus unser Freund:

1) Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich.

(2) Beschränkungen dürfen nur auf Grund eines Gesetzes angeordnet werden. Dient die Beschränkung dem Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder der Sicherung des Bundes oder eines Landes, so kann das Gesetz bestimmen, daß sie dem Betroffenen nicht mitgeteilt wird und daß an die Stelle des Rechtsweges die Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane tritt.

Die Grundlage jeder Filterung ist das Verletzen eben dieses Fernmeldegeheimnisses. Nun kann zwar eine gesetzliche Regelung erfolgen, was die Frau von der Leyen ja anstrebt, aber dass sie hier vielleicht diesen Verfassunsgartikel berühren könnte, ist ihr durchaus bewusst. In der zu dem Gesetz online gestellten FAQ schreibt das Ministerium:

Ist die Weiterleitung auf eine STOPP-Seite ein Eingriff in Artikel 10 Grundgesetz?

Nein. Auch die Weiterleitung einer Anfrage auf eine beim Zugangsanbieter geführte Stopp-Seite stellt keinen Eingriff in das Fernmeldegeheimnis dar. Bei der Weiterleitung auf eine beim Zugangsanbieter geführte STOPP-Seite kommt es zwar zum Aufbau einer Verbindung. Das Fernmeldegeheimnis schützt die Verbindung an sich, nicht aber eine Verbindung zu einem bestimmten Ziel. Wird die STOPP-Seite vom Zugangsanbieter betrieben, erhält auch niemand, der sonst keine Kenntnis von den Daten des Nutzers hätte, Kenntnis derselben.

Ob das so ist, wäre freilich noch zu klären. Ich bin der Meinung, dass nicht nur der Inhalt, sondern auch die Frage nach dem Ziel eines Verbindungsaufbaus zum Fernmeldegeheimnis gehört. Aber selbst wenn nicht, wäre also zumindest eine Inhaltsfilterung, d.h. sowas wie die Deep Packet Inspection auf jeden Fall grundgesetzwidrig. Sogar – das lässt sich aus der FAQ durchaus herauslesen – aus Sicht des Bundesfamilienministeriums.

Wenn dem so wäre, wären alle effektiven Sperrmechanismen grundgesetzwidrig. Technische Anlagen jeglicher Art, die sich den Inhalt von Datenpaketen verdachtsunabhängig anschauen, wären in Deutschland per se verboten. Und selbst wenn man die Domainsperre nicht dem Fernmeldegeheimnis zuordnen möchte, es wäre ihre einzige Möglichkeit der Sperrung von Inhalten. Es wäre also eine Internetsperre, die niemanden interessieren müsste, denn eigene DNSservereinträge würden schlicht zur Standardkonfiguration und damit arg theoretisch.

Die beste und effektivste Art der Internetzensur ein für alle Mal den Gar aus zu machen und gleichzeitig die uneingeschränkte Netneutrality zu sichern, wäre also eine klare Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Wir sollten also zusehen, diese Entscheidung so schnell wie möglich herbeizuführen.

PS: ein zweites Ding, was ich gerne vor dem Bundesverfassungsgericht geklärt haben möchte: ist es überhaupt verfassungskonform, dass Entscheidungen des Verfassungsgerichts immer anderthalb Jahre auf sich warten lassen? Und dass die die Regierung bis dahin immer fröhlich unsere Grundrechte mit Füßen treten darf? Oder ist der Staat gehalten das Verfassungsgericht seiner Auslastung entsprechend auszustatten?

3 Gedanken zu „Das Grundgesetz als Netneutralityschutz

  1. die p.s.-frage haben die schon öfter entschieden. für alle deutschen gerichte gilt: ab drei jahren verfahrensdauer wird’s kritisch/verfassungswidrig. allerdings hält manchmal selbst das bverfg selbst diese frist nicht ein.

    grüße jo

  2. Pingback: Internetsperren 11.06.2009: Artikel und Kommentare « Wir sind das Volk

  3. Vors Verfassungsgericht wäre der schnellste Weg, dass wir jetzt alle mal schnell pro Zensursula sind und am besten noch die Unterschrift unter die Petition zurücknehmen…

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