X, aber als Hype

Technologie-Hypes gibt es immer wieder und Rückblickend scheint es offensichtlich gewesen zu sein, warum gerade jene Technologie völlig überschätzt wurde. Im dem jeweiligen Augenblick ist die Einschätzung aber tatsächlich schwierig. Umgekehrt kann sich ewig lustig machen, über Aussagen, wie es gibt einen Markt für nur fünf Computer auf der Welt (Thomas J. Watson, IBM), das Internet sei nur eine „Gezeitenwelle“ (Bill Gates), oder dass das iPhone zum Scheitern verurteilt sei (Steve Ballmer). Doch damals konnte man zu dieser Auffassung kommen und viele dachten so.

Trotz der Vorsicht, die man bei diesen Themen also walten lassen sollte, gibt es natürlich vorhersehbare Hypes. Ich zumindest bin mir bei manchen Dingen sicherer als bei anderen und ich bilde mir ein, im Laufe der Zeit eine gewisse Heuristik entwickelt zu haben.

Meine Heuristik ist relativ einfach. Ich habe drei Alarmglocken, die bei folgenden Mustern anfangen zu schrillen:

  1. X, aber in fliegend.
  2. X, aber in dezentral.
  3. X, aber in 3D.

Für alle drei Alarmglocken fallen einem sofort eine Menge Beispiele ein. Bei „X, aber in fliegend“ natürlich sofort das aktuelle Flugtaxi, das mal wieder von der CSU beworben wird. Klar, das ist ein leichtes Opfer, denn das Technologieverständnis der CSU zu schlagen, ist wie Kinder auf dem Spielplatz zu verkloppen. Bei „X, aber in dezentral“ fallen einem sofort die Cryptowährungen und Blockchain-Startups ein, von denen man in letzter Zeit so viel weniger hört. Aber es gehören natürlich auch die vielen Versuche dazu, Social Networks auf dezentrale Füße zu stellen. Auch „X, in aber in 3D“ klingt vertaut. Zuletzt ist sicher der bislang eher mäßige Erfolg von Oculus zu nennen (jedenfalls verglichen mit den Erwartungen), aber Oculus hatte viele noch viel unerfolgreichere Vorgänger. Älteren kommt vielleicht noch der Hype um das Spiel Second Life in den Sinn. Geht eigentlich noch wer in die 3d-Vorführungen von Kinofilmen?

Alle drei Technologie-Paradigmen haben also einen gewissen Trackrecord an überhöhten Erwartungen. Aber uns interessiert, was die drei gemeinsam haben.

Das sind wiederum drei Dinge:

  1. Alle drei hören sich oberflächlich gesehen erstmal toll und nützlich an.
  2. All drei bürden aber dem jeweiligen System (also X) in erster Linie unverhältnismäßig hohe Zusatzkosten auf.
  3. Alle drei tun das, obwohl der zusätzliche Nutzen objektiv gesehen doch vergleichsweise gering sind.

Zu 1. Natürlich ist fliegen geil. Da brauchen wir nicht drüber diskutieren. Fliegen ist immer spektakulärer als Autofahren und natürlich hat es auch viele praktische Vorteile. Dezentral ist auch etwas erstrebenswertes. Die Machtkonzentration zentralisierter Prozesse ist die große Enttäuschung unserer Netzwerkgesellschaft. Wäre es nicht toll, wenn wir dieselben Services hätten, aber ohne diese Machtkonzentration? Und 3D ist ein nobrainer. Wir wurden zum 3D-sehen und denken geboren, warum also hantieren wir ständig mit 2D-Interfaces herum? Was für eine Verschwendung!

Zu 2. Aber wie man es dreht und wendet: Wer fliegen will, kommt nicht daran vorbei gegen die Schwerkraft zu arbeiten, die Bitch! Das Entscheidende: diese Arbeit ist unhintergehbar und sie muss immer zusätzlich passieren zur eigentlichen Fortbewegung. Das ist ne Menge Extraenergie, die da verbraten werden muss um dasselbe auf dem Boden zu tun. Hinzu kommen die zusätzlichen Risiken, die mit der Tatsache einhergehen, dass man mit extrem hoher potentieller Energie weit über den Köpfen unbescholtener Bürger*innen weilt. Und jaja, der Lärm. Man kann an all diesen Dingen arbeiten, aber fliegen wird immer ein zigfaches mehr Kosten verursachen, als die Fortbewegung am Boden.

Auch Dezentral ist ebenfalls erstmal ein Kostenfaktor. Systeme tendieren dazu zu verklumpen und zwar gar nicht, weil böse Manager böse Dinge wollen, sondern vor allem aus Effizienzgründen. Netzwerke mit zentralen Hubs sind nun mal einfach wesentlich effizienter in vielerlei Hinsicht und wer den dezentralen Charakter eines Netzwerkes erhalten will muss immer einen Extraaufwand treiben, gegen diese Effizienzgewinne anzuarbeiten. Das ist tatsächlich mit der Schwerkraft vergleichbar. Am deutlichsten wird das bei Bitcoin und Ethereum, die allein zur Einigung ihrer dezentralen Nodes die Energie von mittelgroßen Volkswirtschaften verbraten. Und trotzdem gibt es auch dort Verklumpungseffekte. Zum dem Thema hab ich mal einen ganzen Artikel geschrieben.

Auch 3D ist teuer. Der Unterschied im Aufwand zu 2D ist aber nicht ein Drittel, sondern eine ganze Potenz, denn statt n hoch 2 muss jetzt alles n hoch 3 funktionieren. Und das betrifft nicht nur das Rendering von Bildern und Videosequenzen, sondern auch ihre Gestaltung und all die zusätzlichen Dinge, die zu Beachten sind. Also viele Dinge, die man nicht einfach mit zusätzlicher Rechenpower skaliert bekommmt.

Zu 3. Natürlich bedeuten diese zusätzlichen Kosten nicht, dass diese Dinge unmöglich sind. Alle drei Paradigmen haben sich sogar bereits in der Praxis bewährt, wenn auch meist in bestimmten Nischen oder unter besonderen Umständen. Es gibt Flugzeuge, es gibt das Internet, es gibt 3D-Videospiele. Der Grund, warum alle drei Paradigmen aber nicht allgegenwärtig sind (Fliegende Autos, Dezentrale Social Networks, überall 3D-Interfaces) liegt daran, dass ihr Nutzen im Vergleich zu den Kosten doch relativ gering ausfällt.

Wie viel Zeit spart man mit einem Flugtaxi statt Taxi wirklich? Das kommt natürlich auf die Situation an, aber niemals kommt man auch nur in die Nähe des Mehraufwandes. Bei dezentralen Ansätzen ist es fast noch krasser. Da gibt es neben dem idealistischen Wert sogar meist gar kein spürbaren Nutzwert. Ob der Bitcoin jetzt zentral oder dezentral in meine Wallet gewandert ist, merke ich im Alltag höchstens daran, dass es dezentral eben länger dauert. Bei 3D ist der Nutzen sogar oft deutlich negativ, weil es eh schon komplexe Situationen – wie die Bedienung von Interfaces – noch mit zusätzlicher Komplexität überlädt.

Fassen wir zusammen: X, aber in fliegend, X, aber in dezentral, X, aber in 3D sind rote Flaggen bei Technologien, denn sie haben eine Historie der Überschätzung und diese Überschätzung ist direkt ableitbar aus ihrem schlechten Kosten/Nutzen-Verhältnis. Dieses Kosten/Nutzen-Verhältnis ist diesen technologischen Paradigmen unhintergehbar eingeschrieben. Egal welche Antriebstechnik, Netzwerktechnik oder Grafikprozessor noch erfunden wird: Fliegen, Dezentral und 3D wird immer ein um ein vielfaches teurer sein als Bodenfortbewegung, Zentralisierung und 2D, während der Nutzen oft klein oder ganz und gar fragwürdig bleibt.

Das heißt nicht, dass es in Zukunft nicht auch vereinzelte, sinnvolle Einsatzzwecke für diese drei Technologie-Paradigmen geben wird. Ich bin mir sogar sicher, dass wir da noch was sehen werden. Aber zwei Dinge stehen fest. Erstens: sie werden nie die primär vorherrschenden Paradigmen werden und zweitens werden die meisten Projekte in diese Richtungen zwangsläufig überhypt sein.