Ohne Frage, Hans Ulrich Gumbrecht ist ein intelligenter Mensch. Aber er hat ein Problem. Wie so viele in seiner Generation hat er es sich zur Aufgabe gemacht, sich selbst zu hassen. Die Tätergeneration hatte das bekanntlich nicht fertig gebracht. Jedenfalls nicht offen, nicht in aller Klarheit und nicht unmissverständlich genug. Die nächste Generation musste damit fertig werden. Der Vater ein Nazi, das ist eine schwere Bürde. Vielleicht sogar eine Dornenkrone, die tief ins Fleisch drückt, auf jeden Fall ein schweres Kreuz, dass man tragen muss, und dazu das Kreuz des Anderen und so verschrieb sich die Generation 68 vielleicht zwangsläufig dieser Passion. Sie nahm alle Schuld auf sich und machte es sich zur Aufgabe den Nazismus, diese so konkrete Ausgeburt des falschen bis in seine diffusen und unscharfen Winkel zu bekämpfen. Auch in sich selbst. Der Nazi war ein Beispiel. Der Nazi war ein Symbol. Der Nazi war der Feind. Der Feind auch in mir, in meinem Leben, in meinem Pass, in meiner Familie, in meinem Kopf, in meiner Erziehung und in meiner Sprache. Der Nazi war immer noch überall. Der Nazi musste weg.
Aber was sollte man tun mit diesem einen Nazi, dieser Nazi, den man in sich trägt? Was sollte man tun mit diesem Gefühl des Schauers bei kollektiven Euphorien, so wie man sie in Fußballstadien hat. Was sollte man tun mit den eigenen Stereotypen, mit den eigenen Vorurteilen? Was sollte man tun mit eigenen Kultur und dem eigenen Staat? Was sollte man tun, wenn man sich erwischte, dies oder das zu denken? Oder leise mitsummte wenn die Nationalhymne erklang? Was sollte man tun, mit dem eigenen Bedürfnis nach kultureller oder gar nationaler Identifikation? Wann und wo war man selber ein Nazi? Ja, wie kann man überhaupt noch deutsch sprechen? 68er zu sein, ist ein Spießrutenlauf.
Kaum eine Generation hat sich deshalb wohl mehr gehasst als die 68er. Sicher, manche haben ihren Frieden gefunden. Aber die meisten kämpfen noch. Viele kämpfen sogar noch an derselben Front. Viele haben die Seiten gewechselt. Aber der Hass bleibt, auch wenn er sich andere Projektionen sucht.
Gumbrecht hat die Identität gewechselt. Er ist nun Amerikaner. Nicht, dass die Amerikaner ohne Schuld seien. Aber eben nicht so. Irgendwie anders. Jetzt, da er kein Deutscher mehr ist, kann er sich hassen, ohne sich zu hassen. Er kann sein früheres Ich hassen. Er kann die Europäer hassen, die Deutschen, die Nazis. Er kann die Intellektuellen hassen, jedenfalls die europäischen, ohne sich selbst hassen zu müssen.
Glaubt er.
Er glaubt an Identität. Er glaubt an den Pass. Er glaubt, wenn er nur weit genug hineinkriechen könnte, in den Amerikanismus, dann kann er sich vor sich selbst verstecken, oder er würde alles Hassenswerte verlieren. Er glaubt, er könne jetzt endlich auch befreit ein Nationalist sein. Jedenfalls ein bisschen. Ein Nationalist ohne Schuld. Er kann endlich die Nationalhymne singen und dabei eine Träne vergießen ohne sich schuldig zu fühlen. Er kann endlich stolz sein, auf sein Land ohne sich gleichzeitig zu hassen. Er kann endlich all die Dinge tun, denken und sagen, die er immer sagen wollte. All die Dinge, die ihm schon immer auf der Zunge lagen und für die er sich geschämt hat, innerlich geschämt, für die er sich so sehr gehasst hat, so dermaßen gehasst hat, dass er sich selbst im Spiegel nicht mehr anschauen konnte. Sich selbst. Sich selbst als der Selbe, als der Eine, der Deutsche. Der ewige Nazi.
Jetzt, da er im Spiegel einen anderen sieht, einen mit Schirmmütze, die einen amerikanischen Schatten spendet auf dem braungebrannten Gesicht, jetzt kann er den Deutschen ihren Selbsthass vorwerfen. Diesen spießigen deutschen Selbsthass. Vor allem seiner Generation. Er kann endlich sagen, dass es so nicht weitergeht in Europa. Dass sie alles falsch gemacht haben. Dass sie nichts verstanden haben. Diese Deppen dort drüben. Sie, denkt er und er meint sich selbst.
Wenn sie doch nur verstünden, so wie er verstanden hat. Es ist so leicht. Man muss doch nur Amerikaner werden.
Ich wünsche ihm viel Glück. Er wird es brauchen.
Naja. Ganz so emphatisch würde ich die Situation des Vorzeigeintellektuellen nicht eurteilen. Du beziehst dich sicher auf den SpOn Artikel über Gumbrich, wo er auch über den Amerikanischen Hochschulsprort quatscht und so. Klar gibt er dort ein Bild ab, dass für die meisten Europäer ein horror ist. Ein überaus begnadeter Intellektueller wechselt freiwillig in die USA und findets auch noch gut.
Ich hingegen meine, dass Gumbrich uns mit seiner Aktion immerhin eines gezeigt hat. Den Amerikaner an sich, wie er mit europäischer Aroganz gerne über den ideologischen Kamm geschert wird, gibt es nicht. Dieses Volk ist wahrscheinlich mehr multikulti, als wir uns das im allgemeinen denken. Ob Gumbrich nun die Nazivergangenheit seiner Eltern damit verarbeitet, das er in die USA gegangen ist, scheint mit zwar psychologisch ein recht interessantes Modell zu sein, v.a. weil er nicht der erste und bestimmt auch nicht der letzte Deutsche ist, der diesen Schritt gewagt hat. Es wäre doch aber immerhin erst einmal zu prüfen, ob dem tatsächlich so ist, oder ob hier nicht doch er proffessionelle Gründe mitschwingen. Seine Aussage war ja, das sich beruflich in europa für ihn einfach nichts interessantes mehr ergeben hätte (im übrigen ein Argument, dass von sehr vielen Hochschulabsolventen in Europa vorgebracte wird, um in die USA über zu wechseln, so die Arbeitsbedingungen in einigen Bereichen tatsächlich besser sind). Das nun ein Standortwechsel und mit einem Perspektivenwechsel einher geht ist klar. Ich geb dir aber in so weit recht, dass Gumbrecht hier in einer Emphase argumentiert, die nicht jedermans Stil ist, v.a. geht er aber davon aus, dass man das amerikanische Modell nach Euroa exporieren sollte und das ist ganz bestimmt anzukreiden, denn wer sagt, dass Europa dieses Modell auch will.
Ich gebe zu. Du hast mich erwischt. Meine Auslassungen stehen auf tönernen Füßen. Sie sind vor allem rein assoziativ.
Aber es ist schon ein wenig mehr als nur die Karriere, die er in Amerika gefunden hat. Er meint jedenfalls auch dort eine Position gefunden zu,haben, von der er auf den europäischen Intellektualismus eindreschen kann. Und das finde ich halt einfach stillos und ich frage mich wieso er das tut.
Wenn in Amerika alles so viel besser ist, als in Europa, wenn er dort so glücklich ist, warum belässt er es nicht dabei? Ich habe nichts dagegen, dass er das ist. Aber warum muss er denn dann so einen Lauten und Dicken machen und dauernd über den Atlantik kotzen?
nene, da steckt was anderes dahinter. Und das ist dieser typsche 68er Selbsthass, den er nun meint projektieren zu können, weil er jetzt keiner mehr von ihnen ist. Ganz miese Nummer das.
Ich hab nichts gegen Leute die nach A. gehen. Ich hab was gegen Leute die nach A. gehen und nun meinen, einen großen Biss in den Pudding der Wahrheit getan zu haben und nun dann noch meinen alle damit vollkotzen zu können. Und ich habe was gegen Leute, die meinen eine provokante Haltung rechtfertigt das Spiel mit den Resentiments. Das alte Spiel mit den Streichhölzern.
Und ich habe etwas gegen Leute, die glauben, dass, nur weil die Streichhölzer in ihrer neuen Heimat nicht „Streichhölzer“ heißen, sie damit nun tun und lassen können, was sie wollen.
Er soll eben nicht alles auf die tolle amerikanische Kultur schieben. Wenn er schon hier das Bedürfnis nach nationaler Identität gespührt hat, dann hätte er es verdammt nochmal einfach sagen sollen. So ein alter Heuchler!
Mag sein, dass er ein alter Heuchler ist, aber wenn man schon von Arroganz spricht, sollte man auch beachten, dass eine sehr große Arroganz eben von Seiten der Europäer kommt. Ich muss sagen, dass ich bei aller Polemik und inhaltlichen Zwiespältigkeiten eine Kritik am Europäischen Intellektualismus von dieser unfairen Warte eigentlich gar nicht schlecht finde, es Spiegelt nämlich genau die Grundhaltung wieder, die oft von unserer Seite den Amerikanern entgegen gebracht wird. Und man sollte nicht vergessen: Gumbrecht hat europäische Wurzeln. Der Mann kommt mir gerade so vor, wie die Fratze, die aus dem Spiegel zurückglotzt, dass kann sehr therapeutische Effekte nach sich ziehen, weil sich so die europäische Welt über ihn augfregt und eigentlich doch sich selber meint. Ich will allerdings nicht falsch verstanden werden: Ich bin mit den Inhalten Gumbrechts oftmals nicht d’accord, aber seine Kritik polarisiert doch immerhin und entfacht eine Debatte und das scheint mir doch ein Weg der Kulturellen Verständigung zu sein: Nicht die Vermittlung, sondern der Streit. In einem guten Streit kann mehr geklärt werden, als bei hundert wohlgemeinten Vertsändigungsversuchen. In diesem Fall ist der Depp besser als der eingezogene Schwanz.
Witzig. Da hast du natürlich recht. Die Spiegelbildmetahper kann man natürlich auch umdrehen. Interessanter Punkt.
Ich bin natürlich im Zweifelsfall immer für Streit. Ich kann dir da nur wirklich nur zustimmen. Ich habe auch eigentlich nichts gegen Provokateure.
Aber ich sehe Gumprecht nicht isoliert. Ich sehe ihn in einer Reihe mit vielen sogenannten „freihgeitlichen Intellektuellen“, die mir zur Zeit echt auf die Nerven gehen. Die Neoconnards eben.
Ich weiß nicht wirklich ob man Gumprecht dort einordnen kann, aber seine Argumentationen und sein Lebensstil sind jedenfalls extrem kompatibel.
Gumprecht alleine wäre nur ein einfacher Spinner. Aber wir haben es hierzulande mit einer ganzen Front zu tun. Und ich halte die für gefährlich.
Ok. Ist mir nicht so aufgefallen. Es wäre da mal interessant zu Prüfen, von welchen Intellektuellen welche Arguente in Stellung gebracht werden, um dann entsprechend darauf zu reagieren. Ich für meinen Teil sehe halt auch den Umgekehrten Fall, da ich mich gerade mit Douglas Kellner beschäftige, der in seinen Cultural Studies einen multiperspektivischen, und wie ich meine, sehr ausgewogenen Blick auf die Phänomene unserer Zeit wirft, indem er die Kritische Theorie einer Revision unterzieht, und sie als Sozialwissenschaftliche Komponente zusammen mit der französischen Philosophie benutz, um seine Analysen zu umreißen. Eine Methode, die, wie ich finde sehr gelungen ist. Kellner hat in Tübingen seine Diss geschrieben, d.h. er war auch schonmal über den großen Teich.
Anyway: Eine Front ist da um sie zu dekonstruieren…wenn nötig mit Gewalt…huahuahuahua;)
Mit den CS wollte ich mich auch schon immer mal näher auseinandersetzen. Hab ich nicht geschafft, obwohl ich mich doch Kulturwissenschaftler schimpfe. Traurig eigentlich.
Ich weiß nicht viel darüber, aber so, wie ich die CS verstanden habe, hätte Adorno sicher alle Geschütze gegen sie aufgefahren.
Insofern verstehe ich auch den Einwand gegen die ewig besserwisserische, auf Hochkultur pochende Arroganz der Europäer. Und klar kann man legitimer Weise davon angekotzt sein. Ich denke aber, der Trick ist dann aber eben diese Arroganz in einer nicht arroganten Weise anzuprangern. Gumprecht hat das nicht drauf.
Luhmann ist auch schon daran gescheitert. Kellner scheint das wohl besser zu können, jedenfalls wie du ihn beschreibst.
Kellner bleibt einfach sachlich. Ich würde ihn auch nich in die Riege der css einreihen, im gegenteil: Seine Gesellschaftstheorie setzt sich auf sehr hohem niveu mit den tücken der kulturindustrie und mit den Fallstricken postmoderner Gesellschaftstheorie bei Baudrillard und Lyotard auseinander. Ich mag seine Verflechtung mit von poststrukturalismus und kritischer Theorie.
Man müsste zuerst mal die Gruppe der Theoretiker zusammenstellen, die sich in genanntem Duktus über die europäisch geführten Diskurse auslassen und nach einer Inhaltlichen Analyse auch deren ästhetisch/anästhetische Seite beleuchten….mal sehen vielleicht auch eine kleine PSychoanalyse, oder so…who knows…