Ich bin jetzt schon über einen Monat in New York. Irgendwie ist es hier spektakulär unspektakulär. Als ich das erste Mal vor drei Jahren hier war, hat mich das zwar alles sehr beeindruckt, aber den Wunsch hier zu wohnen hat es nicht geweckt. Eher im Gegenteil. Die Stadt ist unfassbar laut und eng. Überall ist es voll, überall wird gedrängelt. Einfach unfassbar viele Menschen auf engem Raum. In Berlin liebe ich ja diese Ausdehnung, wo jede Straße so breit ist, wie sie in NY sein müßte, aber eben dort nicht sein muss.
Aber es geht. Es ist nicht so schlimm, wie ich es mir vorgestellt habe. Man gewöhnt sich an die Enge und an die Lautstärke. Man nimmt nicht mehr wahr, dass alle 5 Minuten irgendwo eine Autoalarmanlage anspringt, Feuerwehr und Polizei herum trötend durch die Gegend rasen, der L-Train mit dem Lautstärkepegel eines Maschinengewehrs einfährt und jeder sowieso überall hupt und schreit.
Dennoch fehlt irgendwie der Thrill, dieses Gefühl der Zukunft und der Weltstädtehaftigkeit von der einige Freunde befallen wurden, als sie hier weilten. Ich sehe viel Verfall und viel Dreck. Etwa so wie in Berlin, da komme ich gut mit klar. Aber wo ist bitte die Avantgarde? Ich habe sie jedenfalls nicht gefunden. Ich habe hier nichts gesehen, was ich nicht auch schon aus Deutschland kenne und das meist schlechter. Coworking ist hier vor allem eins: teurer. Das stationäre Internet ist langsamer. Die Mobilfunkprovider sind sogar beschissener, langsamer und teurer.
Gut. Die Häuser sind hoch. Das ist ein krasses Gefühl, drüben in Manhattan. Diese vertikale Definition des Raumes ist etwas, was einen tatsächlich beeindrucken kann. Aber hey, das ist auch nur eine Kulisse, nichts nachhaltiges und irgendwie sogar ein Anachronismus. Dieser Hochhauswahn wirkt heutzutage irgendwie unzeitgemäß und – ja – albern. New York ist eine Old Media City – die meisten großen Networks und die New York Times und viele andere Zeitungen sind hier. Hier wurde Fernseh- und Printgeschichte geschrieben. Vielleicht ist New York die Stadt, die die alten Massenmedien am besten repräsentiert mit diesen hohen Häusern. Die Wolkenkratzer sind Symbole für Machtkonzentration und auch für diese Hybris, die daraus resultiert zu den wenigen, auserwählten Sendern zu gehören. Höhe ist gut, wenn man senden will. Höhe ist tödlich, wenn man empfangen will. New York – zumindest Manhattan – ist Broadcast City.
Ich will nicht all zu sehr lamentieren. Natürlich macht New York auch Spass. Mir fällt es aber immer ein bisschen schwer, offen zu sein. Ich mag kein Schickimickigedöns – ergo sind die meisten Clubs hier nichts für mich. Aufgrund von behördlichen Bestimmungen kann es sein, dass man nach dem 20 Dollar Eintritt dafür Wodka All-You-Can drink bekommt. Andere behördliche Absurditäten verbieten, dass man in Kneipen tanzen darf. Dafür braucht der Laden eine spezielle Lizenz. Alles hat Vor- und Nachteile. Ich muss wohl einfach die Nachteile in Kauf nehmen und mich auf die Suche nach den Vorteilen machen und sie genießen.
Da bin ich auch schon ein Stück weiter gekommen. Ich habe mir jetzt ein Fahrrad geliehen. Fahrradfahren in der Stadt ist für mich die freiste Form der Fortbewegung. In Berlin fahre ich immer Fahrrad und habe so die Stadt sehr schnell und gleichzeitig sehr intensiv kennen gelernt. Mate, der zwei Jahre in New York gelebt und gearbeitet hat, meinte gestern im Chat, man müsse die Stadt „ownen“. Ich glaube, genau das geht mit dem Fahrrad am besten: eine Stadt zu ownen.
Als ich vor 3 Jahren hier war, habe ich übrigens gar keine Fahrräder gesehen. Ich musste richtig danach suchen – also so zwei, drei Häuserblocks abgehen, bevor ich irgendwo mal ein Fahrrad gesehen habe. Das hat sich radikal geändert. Die New Yorker sind in meiner Abwesenheit totale Fahrradfreaks geworden. Überall heizen die rum, wie die wilden. Angeblich hat die Stadt das massiv gefördert. Hat überall Radwege gebaut und Werbekampagnen gefahren. Ich finde das super.
Jedenfalls fahren die hier alle mit diesen Fixies rum. Also Fahrräder, die keine Gangschaltung, sondern eine direkte Verdrahtung von Vorderzahnrad und Hinterzahnrad haben, nicht mal einen Leerlauf. Ich kannte diese Räder schon aus Berlin und hab mich schon darüber informiert. Mir schien das immer etwas albern, vor allem weil man außer „Fahrgefühl“ keinerlei Argumente dafür hört. Hier in Brooklyn hab ich aber etwas drauf geachtet und gemerkt: Die Dinger sehen halt so richtig stylish (sorry für den Ausdruck) aus. Das sind halt nur ein dünner Stahlrahmen mit Rädern dran, sonst nichts. Das wirkt in seiner Reduktion tatsächlich sehr filigran und macht optisch ne Menge her.
Jedenfalls hab ich mir jetzt eben auch so ein Ding geliehen. Schon sehr gewöhnungsbedürftig, man muss anfangs immer ganz schön rein treten und der fehlende Leerlauf ist am Anfang sehr schlimm. Aber irgendwann geht es. Natürlich ist das nervig ohne Gang die Williamsburg Bridge hoch (uff) und ohne Leerlauf runter zu fahren (die Pedalen ratteln mit) aber so dazwischen merkt man doch, dass diese Direktheit der Übersetzung dazu führt, dass man viel präziser fahren kann. Das hat schon was für sich, aber wiegt die Nachteile meines Erachtens nicht auf. Ich will schnell fahren auf freien strecken und mich an Aufstiegen nicht so sehr abmühen. Außerdem brauche ich breite Reifen, weil ich dauernd Bordsteine rauf und runter fahren will, ohne Angst haben zu müssen mir ne 8 einzufahren.
Also gestern der erste Ausflug mit dem Rad nach Manhattan. Die Straßen sind teilweise echt schlecht, man sollte wissen, welche man auf welcher Höhe zu meiden hat. Die Fahrradwege sind nicht überall und mir ist das aber auch zu blöd, die immer zu suchen. Fahrradfahren ist für mich schließlich vor allem die Freiheit überall fahren zu können. Dadurch, dass die Fahrradfahrer in New York noch recht neues Phänomen sind, muss man doppelt so sehr auf die Autos aufpassen. Rechts an einem Auto vorbei fahren, dass gerade im Begriff ist, rechts ab zu biegen, ist keine sehr gute Idee. Nach Fußgängern wird Ausschau gehalten, als Fahrradfahrer ist man aber irgendwie außerhalb der Wertung. Überhaupt ist der Verkehr in New York unfassbar chaotisch. Die Spuren sind oft nicht ganz klar und an Ampelzeichen wird sich auch eher nur orientiert. Ein riesiges Wirrwarr und so stehen an vielen Kreuzungen trotz funktionierender Ampelanlagen zusätzlich noch Verkehrspolizisten, die den Verkehr regeln. Aber auch die ignorieren einen als Fahrradfahrer, was durchaus ein Vorteil ist.
Jedenfalls bin ich Williamsburg Bridge rüber und dann bis Madison Square Garden, was essen, dann hoch zum Central Park. Krasse Bodybuilder auf Skateboards fuhren wie mobile Statuen an mir vorbei. Ich bin bis hoch zu dem großen See, der sinniger Weise vollkommen eingezäunt ist. Keine einzige Stelle zum dranrumfletzen, sehr schade. Auf dem Rückweg dann über den Timesquare gefahren. Das ist schon krass, autonomer Teil dieses Gewusels zu sein und unter den riesigen Displays durch zu radeln. Durch diese Menschenmassen und tausenden von gelben Taxis, vorbei an einem, der lautstark „Obama Condoms“ verkauft. Schon verrückt, diese Stadt.
Zum Abschließen des Rads habe ich übrigens so eine riesige Stahlkette, die ich immer mit mir rum schleppen muss. Die wiegt gut und gerne 5 Kilo oder so und sieht grotesk monströs aus. Die hat hier so ziemlich jeder, der was auf sein Radl gibt und mir wurde versichert, dass das der einzige effektive Schutz vor den Dieben sei. Ich glaube da nicht ganz so dran. In Deutschland habe ich so ein vergleichsweise kleines, kompaktes Komponentenschloss von Asus, dass irgendwie die zweit höchste Sicherheitsstufe hat, die es gibt. Das ist auch Voraussetzung für die meisten Fahrradversicherungen. Ich weiß das zwar nicht wirklich, würde aber fast wetten, dass das genau so gut – wenn nicht besser – ist, als das Stahlmonster. Ich glaube das, weil ich die amerikanische Ingenieurskunst schon an so vielen Stellen habe bewundern können: die Formel hier ist schlicht: „Mehr“. Egal ob Herd, Kühlschrank, Autos, Trucks, Stromleitungen, Häuser oder sonst was, hier wird alles einfach immer durch Skalierung geregelt. Wenn etwas ungenügend ist, wird einfach mehr von dem ungenügenden drauf gebappt, bis es genügt. Mein Verdacht ist, dass man die Diebe hier eben auch auf diese Weise mit Stahl erschlagen will. Statt mal in die Labore zu gehen und Materialforschung zu betreiben nimmt man einfach 5 Kilo Stahl und hofft, dass die Diebe beim 2ten oder dritten aufgeben.
Ach naja. Mir geht es eigentlich ganz gut. Bin hier grade in so einem Coworkingspace in Brooklyn, während ich das schreibe. Eine nette berlinlike Charmanz hat Brooklyn allemal. Die Leute sind nett und das Wetter ist super. Heimweh habe ich auch noch keines, aber in der Stadt meiner Träume bin ich wohl auch noch nicht. Ich weiß, ich muss der Stadt noch etwas Zeit geben, die hab ich ja jetzt. Und mit dem Fahrrad hab ich jetzt auch bessere Chancen dazu.
PS: ja, mein iPhone fehlt mir sehr. Hier ist jeder dauernd connected, außer mir. Echt, fast wie eine ganze Stadt voller Twitterer, die alle immer auf ihren Screen starren. Ich will endlich wieder mit starren! 😉
Ich mag Deinen Text.
Bleiben wird mir das Bild von der vertikalen Raumnutzung von Broadcast-City – und dass die spannenden Entwicklungen doch woanders stattfinden.
Ich wohne hier jetzt jobbedingt schon über zwei Jahre, und kann dir nur zustimmen. Leider.
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Sehr Schöne ‚Vor Ort‘ Berichtserstattung! Sicherlich ist das Großstadtflair für jeden zunächst ‚umwerfend‘ in dem Sinne, dass man von dieser ‚vertikalen Definition‘ des Raums und den Reizüberflutungen zunächst überwältigt wird und klarkommen muss.
Gut finde ich Deine konsequente Beschränkung auf das effektivste aller Fortbewegungsmittel, das Rad – das, wie auch z.B. in China (oder Holland (-:), zum alltäglichen Gebrauch gehört!
Viel Spass und viel Erfolg weiterhin.
Offtopic: Deine Spaltenbreite ist zu schmal für Blocksatz. Sieht doof aus. Nur so als kleiner typographischer Tipp am Rande.
Ja, danke. Schön, von Dir zu lesen. Mehr davon.