„Die gegen Wir“

Ich hatte mir schon lange einmal vorgenommen einen Artikel darüber zu schreiben, dass sich derzeit eine Diskursverschiebung ereignet, die ich für sehr gefährlich halte. Auf Twitter hat sich dafür bereits das Mem #schlandnet durchgesetzt und es bezeichnet die Summe der Forderugen, Argumentationen und Warnungen, die davon handeln, dass die amerikanischen Infrastrukturen durch die NSA kompromittiert seien und man sich deswegen von ihnen nun abkoppeln und stattdessen eigene schaffen soll. Eine europäische Suchmaschine, ein europäisches Facebook, Aufkündigung des Safe Harbor-Abkommens, fröhliche Reinterpreatationen von China.net und seiner Great Firewall als Schutzwall gegen die Amis (wie originell …), Ideen zum innerdeutschen Paketrouting, bishin zum Verbot von amerikanischen Services – Netzsperren für den Datenschutz. Die Protagonisten dieses Diskurses sind immer die gleichen: Viele Politiker von Union und SPD, Rangar Yogeshwar, Frank Schirrmacher und Rene Obermann und sogar Jan Philipp Albrecht gehört dazu, wenn er nicht müde wird, seine Datenschutzverordnung als taugliches Gegenmittel zur Geheimdienstschnüfflei fehlzuetikettieren. Dass einigen Akteuren neben Antiamerikanismus und Technikfeindlichkeit auch allzu oft eigene (politische oder kommerzielle) Interessenlagen nachgewiesen werden können, hindert sie nicht daran, die lautesten Stimmen in diesem Diskurs zu sein, der ja lange nicht mehr nur im Netz, sondern vermehrt in Fernseh-Talkshows verhandelt wird.

An dieser Stelle sollte also die Argumentation stehen, warum die Schlandnet Ideen nicht nur nichts bringen, von falschen Annahmen getrieben werden und in die völlig falsche Richtung gehen, doch dann hat sich tante dieses Themas bemächtigt und genau das geleistet, wie ich es besser nicht könnte. Und weil das hier das Internet ist, verzichte ich darauf, es ihm nachzutun und verlinke stattdessen auf ihn.

Damit habe ich aber Zeit und Platz, die Nachdenkschraube eine Windung weiter zu drehen und das Narrativ in den Blick zu nehmen, dass hinter dem Schlandnet-Mem steht. Es ist das gute alte „Die gegen Wir“-Denken des 20. Jahrhunderts, das „die“ mit der Kollektividentität „feindlich gesinnte Nation“ (klar, die Amis) identifiziert und gegen die eigene nationale Kollektividentität des „Wir“ (Deutschland/Europa) setzt. „Wir“ sind also bedroht (ausspioniert und schlimm grundrechtsverletzt) von „ihnen“, weswegen „wir“ uns gegen „die“ wehren/schützen müssen.

Dieses Narrativ, das quasi das Bühnenbild für den Auftritt #schlandnets auf der diskursiven Bühne ist, ist nicht nur antiquiert in seinem Denken, im Sinne von „rückschrittlich“ und „so sollte man heute nicht mehr denken“. Nein, es ist darüber hinaus eine völlige Fehlinterpretation der Sachlage. Die Regierungen und Dienste selbst sind da nämlich schon längst viel weiter. Aus den Snowdendokumenten rekonstruiert sich immer deutlicher das Bild eines internationalen, diffusen Geheimdienst-Konglomerats, verstrickt und verheddert in allerlei gemeinsamen Abkommen, strategischen Kooperationen und verschweißt durch gemeinsame Interessen. In Sachen Spionage in Deutschland profitiert die NSA ganz offensichtlich vor allem vom BND selbst, der den DE-CIX absaugt, dass es sogar den Briten Respekt abzollt. Die Franzosen und Spanier liefern die Daten ihrer Leute ebenfalls frei Haus und in der Mitte sitzt der GCHQ, auch das wird immer klarer, und hält die Fäden in der Hand. Der GCHQ hat im Zusammenspiel seiner europäischen Pendants quasi alle Kommunikationen Europas im Blick, hat europäische Internetprovier kompromittiert, ist in Googles und Yahoo!s Datencenter (in Europa!) eingedrungen und scheint überhaupt der unterschätzteste Player in dem Spiel zu sein. „NSA“ oder „USA“ als Gegner auszumachen ist nicht nur unterkomplex oder rückschrittlich, es ist schlicht falsch.

Gegen dieses Geflecht, das innerhalb Europas und in Absprache mit unseren eigenen Regierungen agiert wird uns keine europäische Datenschutzreform, kein gekündigtes Safe Harbor, kein Deutschlandrouting und kein mit wie vielen Milliarden auch immer gefördertes Suchmaschinenprojekt schützen. Der Feind ist nicht die NSA, der Feind liegt mit im Bett und lacht sich scheckig darüber, wie wir planen, uns mit ihm zusammen einzumauern.

Er lacht aber nicht nur, denn er weiß das Narrativ vom „Die gegen Wir“ auch noch für sich zu nutzen. Wenn die Kanzlerin abgehört wird, so war vom Verfassungsschutz zu hören, dann müsse man eben mehr Geld für Spionageabwehr in die Hand nehmen. „Spionageabwehr!“ rufen die Politiker, das ist die Lösung. Deutschland muss schließlich seine Souveränität bewahren! Und hier kommen wir nämlich zur Kehrseite des schlandnet. Das Mem, das durch den Schlandnetdiskurs stark gemacht wird, eignet sich ganz großartig als Argumentationslinie, die eigenen Geheimdienste auch noch zu peppeln. Mit anderen Worten: der undurchsichtige Moloch aus klandestinen Überwachungsbehörden wird, nachdem er beim Spionieren gegen die eigene Bevölkerung erwischt worden ist, mit zusätzlichen Mitteln belohnt. Aufrüstung statt Abbau!

Das gefährliche ist: das „Die gegen Wir“-Mem ist politisch ideal für fast alle traditionellen Player. Es ist absolut Anschlussfähig an die Ressentiments, die eh in der Bevölkerung gegen Amerika, das Ausland im allgemeinen und dem Internet im speziellen bestehen. Es ist für die Spitzenpolitiker, die alle mehr oder weniger tief in der Affaire verstrickt sind, die ideale Blendgranate. Die Geheimdienste selbst dürfen statt einer schmerzhaften Umstrukturierung oder gar Infragestellung auf neue Mittel hoffen. Schirrmacher, Yogeshwar und viele andere Old-Media-Guys können fröhlich in ihre „amerikanische Internetdienste sind der Teufel“-Tröte blasen, die ihnen ja seit jeher ein Dorn im Auge sind. Rene Obermann kann neue Gewinne einstreichen, weil er den Technik-Nichtauskennern neue Pseudosicherheit verkaufen kann und wir Nutzer werden vielleicht sogar gezwungen sein, Telekomdienste zu nutzen, weil andere nur noch schlecht erreichbar oder sogar verboten sind. Willkommen im voll datengeschützten Schlandnet!

Die Snowdenenthüllungen waren in dieser Hinsicht der 11. September des Internets. Und ähnlich wie damals die Amerikaner agieren wir emotional aus dem Schockzustand heraus. Wir fühlen, dass „sie“ in unser Territorium eingedrungen sind, wir haben das Gefühl, dass wir „sie“ bekämpfen müssen. Allein um uns zu schützen. Und ebenso wie damals sind von Eigeninteressen getriebene Gestalten an den Hebeln, die uns in einen Konflikt hineinführen wollen, der der falsche ist, der vom richtigen ablenkt und niemandem Nutzt als den Gestalten selbst.

Ich bekomme es manchmal mit der Angst, wenn ich sehe, dass sogar bekannte Leute aus der Netzszene teilweise argumentativ in die „Die gegen Wir“-Schiene geraten oder gar einzelne Schlandnet-Forderungen „zumindest mal ausprobieren“ wollen. „Irgendwas muss man doch tun!“ Es wäre fatal, wenn sich in der Netzszene das „Wir gegen die“-Denken auch nur partiell durchsetzen würde. Nicht weil ich die jeweils einzelnen Forderung für den Untergang des Internets halten würde (das meiste ist ja recht harmlos), aber die generelle Stoßrichtung wird, da bin ich sicher, viel mehr Schaden anrichten, als es ein schlichtes Nichtreagieren tun würde.

Am Ende steht nämlich ein national und europäisch abgeschottetes, durchreguliertes Internet mit Grenzkontrollen, Vorratsdatenspeicherung, Sperrinfrastrukturen und mit automatisierter Rechtsdurchsetzung, während das Abhörvolumen natürlich noch mal grotesk gestiegen ist, weil das internationale Wettrüsten der Geheimdienste in Sachen Spionage, Gegenspionage und Spionageabwehr einen Geldsegen sonder gleichen bescherte. Ob Snowden das erreichen wollte?

Deswegen appelliere ich an die Netzgemeinde: Seid vorsichtig, wem ihr dieser Tage zuhört. Seid vorsichtig, welche Narrative ihr implizit mitunterschreibt, wenn ihr bestimmmte Forderungen unterstützt. Traut nicht denen, die jetzt laut nach Schutz und Gegenwehr rufen und fragt sehr genau, wer da etwas sagt und fordert und welche Agenda er hat.

Und auch wenn ich dem Staat in Sachen Überwachung und Überwachungsbekämpfung nicht so weit traue, wie ich ihm werfen kann, gibt es eine politische Forderung, die ich für sinnvoll, ja, für absolut notwenig halte: Ein internationales (wichtig! alle müssen mitmachen!) geheimdienstliches Abrüstungsabkommen. Es ist im Interesse aller demokratischen Bevölkerungen und eigentlich auch Regierungen ihre Geheimdienste einzuhegen. Es ist aber nur dann in ihrem Interesse, wenn sie dadurch nicht ins Hintertreffen geraten. Es kann also nur zusammen gehen. Andersrum: politisch auf nationaler Ebene auf den Geheimsdienstskandal zu reagieren, wird ihn nur verschlimmern. Das ist eine gefährliche Situation. Ohne Abrüstungsabkommen wird das Paradox passieren, dass die Snowdenenthüllungen das allgemeine Abhörniveau weltweit noch anheben wird.

Das wäre meine Forderung an die Regierung und die staatlichen Institutionen. Ansonsten bleibe ich weiterhin bei den 10 Thesen, die ich aufgestellt habe. Es geht um die Zivilgesellschaft gegen die Institutionen. Geheimdienste müssen weg. Der Nationalstaat muss überwunden werden. Grenzen müssen fallen. Bis dahin halte ich es mit tante und verbleibe mit einem herzlichen:

#schlandnet verrecke!

3 Gedanken zu „„Die gegen Wir“

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