Ich halte mich für einen Antifaschisten, einen Antirassisten und einen Antimaskulinisten. Das liegt nicht nur daran, dass ich rundheraus ablehne, was Faschisten, Rassisten und Maskulinisten sagen und tun, sondern auch daran, dass ich mir sehr gut eine Welt ohne diese Leute und Einstellungen vorstellen kann und zwar eine bessere.
Wie viele Nazis braucht man um eine Glühbirne einzuschrauben?
Keinen. Niemand braucht Nazis!
Kann ich das selbe über den Kapitalismus sagen?
Wenn ich durch die Straße gehe, wenn ich meine Nudeln koche, wenn ich an die Wand meiner Wohnung klopfe und wenn ich in das Internet reinschreibe – dann muss ich zugeben, dass die Welt in der ich lebe ein Produkt des Kapitalismus ist. Kapitalismus ist nicht einfach eine blöde Einstellung, kein doofes Gesetz, das man abschaffen könnte oder eine Maschine, der man den Stecker ziehen kann. Kapitalismus ist alles was der Fall ist und das stellt mich vor ein Problem: Wenn ich ein Antikapitalist sein will, kann ich nicht einfach das Vorhandene negieren, ohne eine Vorstellung darüber in der Hinterhand zu haben, was es ersetzen soll.
Solche Vorstellungen gibt es. Der Kommunismus ist das prominenteste Beispiel. Der Kommunismus ist eine ziemlich krasse Utopie, die wohl erst dann funktioniert, wenn wir Eigentum auf allen Ebenen komplett abgeschafft haben und die Nationen mit ihren Grenzen und Regierungen gleich mit. Irgendwie müssen wir dann noch das mit der Tragedy of the Commons regeln und eine effiziente Ressourcenallokation installieren, aber das kann durchaus alles machbar sein. Allerdings long way to go. Irgendwie nicht so richtig vorstellbar innerhalb die nächsten 3 Generationen. Und um ganz ehrlich zu sein: So richtig überzeugt von der Notwendigkeit dieses Mammutprojektes bin ich nicht. Nein, nein, ich bin kein Kommunist.
Die Marx’sche Vorstellung, man müsse nur die Produktionsmittel verstaatlichen, dann würden sich die Klassen schon auflösen, ist eh in mehreren Experimenten fehlgeschlagen. Wir leben heute in einem Kapitalismus, der Staatseigentum kennt und ganz normal damit umgeht. Auch Kollektivgüter existieren heute friedlich und mit eigens dafür geschaffenen Gesetzen mitten in unserem Gesellschaftssystem und stellen es nicht in Frage, ja sie widersprechen ihm nicht mal. Der Kapitalismus kennt kein Außen und wenn er es kennenlernt, ist das Außen schwuppdiwupp integriert. 100 mal gesehen in der Geschichte. Ja ja, all das ist der Kapitalismus.
Und ich habe noch nicht die Hoffnung aufgegeben, den Kapitalismus los zu werden. Ich habe ja eine zeitlang über die Überwindung des Eigentumbegriffs aufgrund des digitalen Fortschritts nachgedacht, aber im Grunde enthielten die Überlegungen keine Abschaffung von Eigentum, sondern nur dessen Überformung mit einem neuen Layer. Gute Sache das, aber ja, ja, auch das ist noch der Kapitalismus.
Der Kapitalismus ist doch nun mal scheiße! höre ich die Leute rufen. Und es ist schwierig ihnen zu widersprechen. Da verhungern Menschen, während nebenan Milliardenbeträge in Hochöfen verbrannt werden. Die Verteilungsgerechtigkeit auf der Welt ist eine Katastrophe und die Machtungleichgewichte führen zu schlimmen – für tausende tödlichen – Verwerfungen. Der Regenwald wird abgeholzt, Arten sterben aus, der Klimawandel schreitet voran und trifft natürlich die Armen. Außerdem musste die Lieblingskneipe wegen Mietwahnsinn zu machen, ist Arbeiten scheiße und das iPhone zu teuer. Ich kann das alles nachvollziehen.
Und es gibt gute Forderungen dagegen. Finanzmarkt regulieren, Lebensmittelspekulationen verbieten, Klimaschutz, Mietpreisbindung, Entwicklungshilfe reformieren und aufstocken, Bedingungsloses Grundeinkommen einführen, etc. All das sind im Einzelnen sicher sinnvolle Forderungen und die Welt wäre eine bessere, wenn man sie umsetzte. Aber: Ja, ja, das wäre immer noch der Kapitalismus. Und ja, er wäre auch dann immer noch scheiße genug.
Vielleicht lasse ich mich ja noch von der Überlegenheit und Erreichbarkeit des Kommunismus überzeugen. Vielleicht kommt demnächst auch mal eine wirklich neue, geile Idee vorbei, die ein echtes Alternativkonzept zum Kapitalismus bietet, das mich überzeugt. Bis dahin kann ich mich aber besten Willen nicht „Antikapitalist“ nennen.
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