BEI DER LEKTÜRE EINES SPÄTGRIECHISCHEN DICHTERS
In den Tagen, als ihr Fall gewiß war
Auf den Mauern begann schon die Totenklage
Richteten die Troer Stückchen grade, Stückchen
In den dreifachen Holztoren, Stückchen.
Und begannen Mut zu haben und gute Hoffnung
Bert Brecht
Lange wurde behauptet, dass sich durch Prism und Tempora, durch all die Enthüllungen von Snowden nichts ändern würde. Ich selbst gehörte zu der Fraktion der Immerschon-Bescheidwisser. Und im Grunde ist es ja auch wahr. Es war mehr als nur eine Ahnung, dass die Geheimdienste alles abschnorcheln. Und doch ändert sich jetzt alles.
Die Snowdenleaks sind ein Gamechanger. Wir merken, dass wir gerade in ein neues Spiel eintreten, wir merken es an uns selbst, aneinander. Wir, das sind so ziemlich alle, die sich seit langem mit Überwachung, Datenschutz und Privatsphäre beschäftigen. Wir sind nachdenklicher geworden, die Debatten werden weniger hart geführt, keiner traut sich und seinem bisherigen Standpunkt noch unumstößlich über den Weg. Es wird viel diskutiert, alles wird diskutiert, auch das, was bislang als indiskutabel galt.
Geheimdienstliche Überwachung war lange Zeit eine Wahrheit, die wie die Hintergrundstrahlung als abstrakte Drohung über dem ganzen Diskurs stand. „Schau, der Geheimdienst kann deine Mails mitlesen, wenn du nicht verschlüsselst.“ Der Geheimdienst war irgendwie immer dabei, ohne dabei zu sein, das Auge aus dem Off, das dem Diskurs um Datenschutz und Datensicherheit einerseits seine Legitimität verlieh und andererseits aber nie fassbar genug wurde, um sich wirklich dagegen zu wenden.
Seit Snowden ist nun alles anders. Die Geheimdienste und ihr Tun stehen nun wie ein riesiger Elefant mitten im viel zu engen Raum. Vollkommen gegenständlich, zum Anfassen klar. Aus dem abstrakten Bedrohungsszenario ist ein konkretes geworden. Aus diffusen Befürchtungen manifestierten sich überbordende Realitäten, die diese in vielen Bereichen weit übertreffen. Doch darum geht es gar nicht.
Der Einbruch der Realität in den Datenschutzdiskurs verändert alle Parameter wie dieser geführt werden kann. Als abstrakte Gefahr konnte die geheimdienstliche Überwachung immer als schwebende Drohung die Dringlichkeit des Anliegens unterstreichen. Als manifeste Realität wird sie aber auf einmal zum problematischen Gegenstand des Diskurses, den man bekämpfen muss. Prism steht nun auf einer Linie mit der Vorratsdatenspeicherung und der Bestandsdatenauskunft und nimmt jeden Datenschützer in die Pflicht, dagegen ganz konkret und ebenso entschieden vorzugehen.
Und hier bricht alles zusammen. Nachdem das „Wir haben es Euch doch gesagt“-Geschrei verklungen ist, schauen nun alle auf ihre Waffen. Und sie sind stumpf. Verschlüsselung? Ach naja, nett im Einzelfall. Aber der Geheimdienst interessiert sich eh viel mehr für die Metadaten. Und gesellschaftlich ist das eh keine Lösung. Datenschutzgesetze? Gesetze helfen gegen Geheimdienste nicht weiter. Verfassungsgericht? Ist für die NSA nicht zuständig. Druck auf die Politik? Merkel findet das alles gar nicht so schlimm und auch alle anderen Parteien zucken mit den Schultern. Selbst wenn: glaubt wirklich jemand, die USA würden mit der Spionage aufhören, wenn Merkel nur doll genug auf den Ovalofficeschreibtisch haut?
Die sich gerade abzeichnende Hilflosigkeit gegen Prism und co. ist der Gamechanger, der nicht unterschätzt werden darf. Alle Datenschutzerklärungen sind auf einen Schlag null und nichtig. Alle Datenschutzgesetze sehen ab nun an aus wie Hohn. Und wie will man den Bürgern in Zukunft erklären, dass es wichtig ist, gegen die Vorratsdatenspeicherung auf die Straße zu gehen, wenn jeder weiß, dass die NSA eh zuhört?
Wenn sich die Leute mit Prism abfinden – und es sieht alles danach aus, als müssten sie das tun – ist der Datenschutzdiskurs in Deutschland in erheblichen Schwierigkeiten.
PS: Ich schreibe das hier alles ohne einen Funken Genugtuung. Ich bin entschieden gegen die Überwachung durch die Geheimdienste und ich sehe ebenso wie jeder Datenschützer eine ungeheure Gefahr in dieser unkontrollierten Machtakkumulation. Und ebenso wie die Datenschützer bin ich geschockt über die Stumpfheit unserer Mittel – ihrer wie meiner.
Wir haben vielleicht aktuell stumpfe Waffen aber wir haben doch einen scharfen Verstand. 🙂
Aktuell stehen wir quasi nackt im Regen und wundern uns das wir nass werden.
Wir fordern das Anbieter unser Passwort verschlüsseln. Warum wird das Passwort nicht automatisch vor dem Versenden durch den Browser, nach einer frei wählbaren Methode, verschlüsselt an die Anbieter versendet?
Private Daten in sozialen Netzwerken könnten verschlüsselt auf den Servern abgelegt werden und erst bei der Bestätigung der Freundesanfrage erhält das gegenüber via Peer-2-Peer (z.B. WebRTC) den Schlüssel zur Entschlüsselung.
Das Internet ist zu 100% von Menschen gemacht also können wir auch wirklich alles Ändern – Das Internet ist keine Naturgewalt.
Zum Beispiel könnte man das Routing ändern damit nicht mehr alles Rings um die Welt geschickt wird. Festlegbare Routing-Wege für besonders sensible Daten und wenn die Route gestört ist bekommt man eine Fehlermeldung…
Vielleicht ist es notwendig einen mechanischen Ausschalter für alle Aufnahmemodule (Videokamera, Mirco,..) zu fordern
Das Ende vom Google-Reader hat doch gezeigt das es nicht das Ende vom Internet ist wenn wir die großen Player außen vor lassen. Dann bauen wir uns eben neue Sachen.
Es reicht vollkommen das unsere Kanzlerin kein Rückgrat. Also kreativ sein und Lösungen finden.
(Natürlich muss es neben technischen Dingen auch noch politische Forderungen geben und die moralische Ebene der ganzen Situation muss diskutiert werden)
dein internet hört sich zum davonlaufen an.
Warum? Wenn das gut umgesetzt wird ist das genauso einfach zu bedienen wie heute. Von einem Paket das du verschickst klebst du doch auch zu und machst nicht einfach nur einen Deckel drauf. Sensible Briefe werden auch mit extra Schwarzen Innenseiten versehen damit sie schwerer auszuspionieren sind.
Warum ist der gleiche Ansatz online so schlimm?
Leg mal dein iPhone weg und merke, dass Verschlüsselung nicht nur funktioniert, sondern so gut ist, dass die Regierungen Dienste-Anbieter zur Kooperation zwingen müssen.
Weiterhin mag ich das USA-Bashing nicht. Snowden hätte genau so gut ein Deutscher sein können.
Apropos „Hilflosigkeit“, deren „Gamechanger“-Eigenschaft hört natürlich im Text da auf wo es interessant würde.
Die Lösung liegt ja eigentlich auf der Hand: Die Regierenden abschaffen, die diese Geheimdiensttätigkeit legitimieren. Vielleicht wirft das auch die berühmte „Systemfrage“ auf. Aber typisch für diesen Diskurs ist es halt dass er immer an den „Systemgrenzen“ endet, der „real existierende FDGO-Staat“ darf nicht in Frage gestellt werden. Natürlich tut der ganze PRISM-Skandal aber genau das, denn „unser Staat ist geil und frei und der beste den es geben kann und alles, auch wenn wir genau wissen dass wir entgegen den Werten dieses Staates rundum überwacht werden“ ist offensichtlich ein Widerspruch.
die hilflosigkeit resultiert nur aus der zahlenmässigen unterlegenheit der datenschützer. wären die grossen massen gleichermassen empört, wären politische wie auch praktische veränderungen gleich viel wahrscheinlicher.
Selbst wenn 100% der Deutschen empört wären, würde das die Amerikaner nicht jucken. Und die Chinesen und die Russen (und wer noch so alles die hiesige Kommunikation abschnorchelt, von denen es sicherlich einige gibt)
auf einer globalen bühne ist auch eine vereinte nation eine minderheit. was die ganze prism-geschichte auch aufdeckt, ist meiner meinung nach die not nach einem internationalen regelwerk & internat. demokratischen prozessen. ich will damit nur sagen, dass prism durch leute in kraft gesetzt wurde, die durch einen sog. demokratischen prozess gewählt wurden. wie max sagte, ist das internet aber auch prism etc. von menschen gemacht. hier hilfslosigkeit zu postulieren halte ich für destruktiv, da es einerseits einen selbst in einen passiven zustand versetzt, und andererseits so die leute noch mehr bemächtigt werden, die sich als potent (im ggs. zu hilflos) sehen, da sie ja keinen widerstand mehr haben. http://de.wikipedia.org/wiki/Erlernte_Hilflosigkeit
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