Es ist schon ein paar Jahre her. Ich war noch Student und wohnte im Studentenwohnheim. Vor dem Wohnheim hatte jemand einen Aschenbecher drapiert. Er war aus bemalter Keramik und hatte einen Deckel. Mit seinen geschwungenen Formen sah aus wie eine Urne. Jemand schrieb den passenden Spruch dazu mit Edding auf diesen Deckel: „Die Asche meiner Mutter„. Das war der Titel einer Romanverfilmung die vor kurzem im Kino lief. Ich fand die Idee ganz lustig. Jetzt aber auch nicht der Brüller. Studentenhumor halt.
Eines Tages begab es sich, dass ich mit einer Gruppe von Freunden auf dem Weg zu meiner WG war und als wir am Eingang ankamen, schrie eine Freundin beim Anblick des Aschenbechers auf. Sie hatte vor etwa zwei Wochen ihre Mutter an den Krebs verloren.
Sie weinte und fluchte, war kurz davor den Aschenbecher wegzutreten. Noch als wir in meiner Küche waren schluchtste sie und konnte sich nicht beruhigen.
Natürlich hatte der Aschenbecher nichts mit ihr zu tun. Natürlich konnte das keiner ahnen und auch ich habe an diese Koinzidenz nicht gedacht, als wir zu mir gingen. Da war einfach jemand, der in einer völlig anderen Situation steckte, als ich, als wir, als die anderen. Aber natürlich verstand ich ihre Aufregung sofort, wenn ich sie auch nicht teilte. Natürlich konnte ich einigermaßen nachvollziehen, warum sie hier ausflippte. Warum es einfach weh tat, so einen Scherz abzubekommen. Nicht weil ich weiß, wie es ist, wenn man seine Mutter verliert, sondern, weil ich weiß, dass sie gerade in einer anderen emotionalen Situation ist als ich, eine die ich nicht einschätzen kann, die ich aber respektiere und für die ich verständnis aufzubringen versuche.
Was mir nie, niemals, in den Sinn käme, ist, in diesem Wissen um ihre Verletzbarkeit, extra und gezielt Scherze über tote Mütter zu machen. Die Wunde auszunuten, und draufzuhauen, weil ich weiß wie es weh tut. Und mich danach lauthals darüber aufregen, wie sie völlig fertig in der Ecke liegt und weint und schreit.
Das haltet ihr für selbstverständlich? Henryk M. Broder und andere nicht.
Sie nehmen sich Menschen, die ein anderes, emotionaleres Verhältnis zu einem Gegenstand haben und machen sich – und zwar genau aus diesem Grund – darüber lustig. Nur weil sie wissen, dass sie damit Gefühle verletzen. Weil hier die tote Mutter begraben liegt, graben sie um so tiefer, dem Schmerz entgegen. Es geht dabei natürlich nicht um Humor, es geht um das Verletzen. Und zwar ausdrücklich.
„Satire darf alles“ sagte Tucholsky. Natürlich hat er damit recht. Ganz einfach weil wir – wir Europäer – uns diese Lehre Jahrhunderte lang selber schmerzhaft beibringen mussten. Weil wir lernen mussten, eine emotionale Distanz aufzubauen, zu den Dingen, die verballhort wurden. Und auch das klappt, bis heute, nicht immer gleich gut. Was aber weltgeschichtlich eher eine Sonderbarkeit ist. Vergessen wir nicht: Wir sind in diesem Spiel die Anderen.
Aber sogar die besagte Freundin fing sich wieder und sah von sich aus ein, dass ihre Reaktion irrational war. Dass die „Urne“ nichts mit ihr zu tun hat und dass es zwar ein makaberer aber legitimer Scherz war. Ein Scherz, der außer ihr niemandem weh tut und der vor allem auch nicht dafür gedacht war, irgendjemandem weh zu tun. Vor allem nicht ihr.
Ich wünschte die Moslems könnten das eines Tages ebenso einsehen. Was aber mit Sicherheit nie geschehen wird. Denn es ist schlicht nicht wahr.
Eine wunderbare Erklärung. Danke.
Das Problem ist, das es hinter der Missachtung der Gefühle anderer noch weitere Stufen des Schreckens gibt. Da dieser Weg ins Unheil leicht zu gehen ist, wird er auch gegangen werden:
http://www.duckhome.de/tb/archives/2027-Neues-Europa-ist-nicht-Pax-Europa.html
cem, danke 🙂
Jochen, das ist natürlich genau das, wo das hinführt. Wer Hass säht…
Um mehr muss man dagegen anschreiben.
Hm. Gerade das ist es aber, was Kunst dürfen muss, wenn wir ihr das Recht zusprechen wollen, zu provozieren: weh tun, auch, /um/ weh zu tun.
In einem abgesteckten Rahmen, natürlich: Keiner wird einen Mord als legitimiert betrachten, weil der Mörder ihn Kunst nennt. Kunst soll niemanden in seiner Freiheit, zu tun und zu lassen, was er will, einschränken: niemandem gegen seinen Willen eine Tür zuhalten oder seine Privatsphäre verletzen. Davon abgesehen muss Kunst aber alles dürfen. Sonst nehmen wir ihr das Potential, unsere Wahrnehmung der Welt zu unserer Aufklärung immer wieder aufs Neue herauszufordern.
Und dazu gehört natürlich jedes Verletzen symbolischer Tabus. Die Verletzung eines symbolischen Tabus ist keine Einschränkung irgendeiner persönlichen Freiheit, sondern nur der Angriff auf eine geistige Unfreiheit. Denn eine solche stellt jedes symbolische Tabu dar.
Insofern finde ich die Tolerierung der Mohammed-Karikatur nicht nur unumgänglich, ich finde die Mohammed-Karikatur, gerade auch in ihrer aggressivsten Form, ganz und gar einem aufklärerischen Auftrag der Kunst würdig. Wenn wir die Aufklärung als Maßstab unserer Kultur akzeptieren wollen, dann ist Wut, die durch die Verletzung symbolischer Tabus entsteht, keine Wut, für die wir Toleranz aufzubringen haben
Im Gegenteil: Wenn wir die Aufklärung als Maßstab unserer Kultur akzeptieren wollen, muss es als edler Auftrag der Kunst betrachtet werden, diese Wut (fortwährend, stur, bis sie nicht mehr gegeben ist) als Symptom geistiger Unfreiheit zu provozieren, damit wir letztere erkennen und den ganzen Apparat der Aufklärung gegen sie richten können. Denn permanente Wiesen der geistigen Unfreiheit können wir unter der Sonne der Aufklärung nicht in unserem Garten akzeptieren. (Das mag jetzt etwas radikal /18th century/ klingen, aber /so be it/, ich könnte mir schlechtere ideelle Grundlagen vorstellen 😉 Aber, um mich zu disqualifizieren, ich halte ja auch den Marquis de Sade für den wichtigsten Ethiker des Abendlandes.)
Ich schätze Kunst als Instrument der Verletzung symbolischer Tabus bis ins Äußerste und Aggressivste. Ich empfehle z.B. einen Rundgang (am besten durch die Weltreligionen und einige politische Issues) durch die Encyclopedia Dramatica ( http://encyclopediadramatica.com/Main_Page ) als Beispiel für einen fortwährenden (und diskriminierungsfreien) hyperaggresssiven Rundumschlag gegen jedes symbolische Tabu, das sich denken lässt.
Plom, Grundsätzlich hast du ja nicht unrecht. Und auch ich bin gegen Tabus und finde die Reaktionen der Muslims zumindest unsouverän.
Ich finde das Angehen gegen Tabus auch gut, bzw. fand es auch gut, solange es gegen Tabus einer Majorität ging. Wenn Kunst sich aus der Majorität begeben hatte, sich exponierte, das hatte um der Gesellschaft als ganzer, ihre Verkorkstheit ins Gesicht zu schleudern. Das erforderte eine Menge Mut. Man musste dafür selber „der andere sein“, der „Ausgerenzte“. Musste an den Rand der Gesellschaft und darüber hinausgehen. Ja ein Held. Und damit auch mit der entsprechenden Autorität ausgestattet, dass man ihm zuhörte.
Und Heute? Das Gegenteil ist der Fall. Tabulosigkeit in symbolischen Fragen ist eine Mehrheitsmeinung, hier in Europa. Damit kann man sich nicht mehr exponieren. Was aber geht: Man kann andere exponieren. Leute die eh schon Ausgegrenzte sind, kann man damit noch weiter ausgrenzen. Man kann ihre Andersheit damit super betonen, in dem man sie vorführt.
Das ist die Perversion der Satire. Eine Satire, die statt die Außenrolle gegen die Gesellschaft einzunehmen, sich vor die Gesellschaft stellt um mit ihr Minderheiten anzuspucken.
Man soll nicht Parallelen ziehen, wo sich selbst Berührungspunkte nur schwer aufzeigen lassen … aber dennoch: Roland Koch und Henryk Broder scheinen sich da des gleichen Diskurses zu bedienen. Ihre Inbezugsetzung mag langweilig erscheinen, weil über Koch zuletzt schon viel diskutiert worden ist, aber dennoch. Die Rollen, die Koch und Broder für sich in Anspruch nehmen, sind meines Erachtens im Prinzip zwar gegensätzlicher Natur: Der eine ist Regierungspolitiker, der andere Dauerquärulant. Für’s gegenwärtige Argument könnte man ihre Aufgaben in ein dialektisches Verhältnis setzen: Wenn wir der Kunst (genauer wohl: der Satire) zugestehen, verletzend und destruktiv sein zu dürfen, ist Politik an ihrer gegenteiligen Verpflichtung zu messen: sie soll versöhnlich, oder zumindest doch: konstruktiv sein. Politik ist Staats- oder Gesellschaftsführung, Satire Gesellschaftskritik. Satire deckt auf, wo Politik versagt oder ihre Konstruktivität in Widersprüchen verliert, sie unter Umständen sogar produziert.
Plötzlich aber dürfen wir die Feststellung machen, dass uns beide ihr jeweiliges Versagen vorführen. Beide haben sie auf eine nicht ganz eindeutige Weise ihre Funktion gekreuzt. Die (im Politiker verkörperte, personifizierte) Mehrheit verhält sich ganz selbstbewusst wie der pervertierte Satiriker. Die Anklage politischer Inkorrektheit wehren beide (Koch und Broder, Politik und Satire) mit dem Verweis ab, sie sprächen für die schweigende Mehrheit. Der „Mut“, den sie zusammennehmen, dient nicht mehr der Kritik der gesellschaftlichen Lage, sondern der Benennung dessen, was scheinbar ohnehin alle denken. (Politische) Rhetorik wird (satirische) Polemik, die ausgesprochenen Botschaften sind nur noch destruktiv.
Mir stellt sich daher die Frage, was nun eigentlich tragischer, von größerer Tragweite ist und sein wird: Dass die Satire, oder die Politik pervertiert ist?
Ich finde das mal wieder in einen sehr schönen Eintrag in einem sehr guten Blog. Ich lese deine Beiträge wahnsinnig gerne, und würde mir viel mehr davon wünschen.
Aber das Aussehen … Scrollbar bis ins Nirvana, irgendwelche durch die Gegend fliegenden Prozentzeichen, plötzlich zu sprechen anfangende Leute … Auf der Arbeit hängt sich der Rechner regelmäßig fast komplett auf, und auch von zu Hause besuche ich die Seite nur sehr ungern.
Naja, reicht ja auch alle paar Wochen, viel öfter gibt es hier sowieso nichts neues. 😉
Anonym, sprechende Leute? Ok, ich hatte ne zeit lang den Mogulusplayer embeddet. Das ding fängt dreister weise immer gleich an zu dudeln. Hab den ber deswegen auch gleich rausgeschmissen. Müsste also weg sein.
Ansonsten: was hast du gegen lange scrollbars und fliegende Prozentzeichen?