Volker Strübing bringt eine interessante Blickwendung auf den Datenschutz in die Diskussion ein. Wenn man seine Daten sowieso nicht mehr kontrollieren kann, so Strübing, müsste man dann nicht vielmehr dafür sorgen, dass nicht mehr nur eine kleine Elite (Staatsanwaltschaft, Unternehmen, Geheimdienste) darüber verfügt – sondern alle?
Vielleicht ist es ja wichtiger, für die Freiheit von Information zu kämpfen, als zu versuchen sie zu “schützen” und zu verhindern? Das gruslige an der Vorstellung einer Orwell’schen Zukunft ist doch vor allem die Tatsache, dass man der Beobachtung durch ein repressives System ausgesetzt ist, oder? Klar, uns wird es schwer fallen, auf die Privatsphäre zu verzichten, weil wir mit dem Glauben aufgewachsen sind, sie sei ein grundlegendes Menschenrecht. Weil wir daran gewöhnt sind. Aber vielleicht werden unsere Enkel einmal den Kopf darüber schütteln.
Wenn man bedenkt, dass die Schnittmenge der Leute, die für Informationsfreiheit und derer, die für informationelle Selbstbestimmung kämpfen, enorm groß ist, ist das natürlich eine verlockender Vorschlag. Man kombiniere die beiden Forderungen und demokratisiere so die Überwachung.
Ich selber hatte auch schon oft darüber nachgedacht. Was wenn jeder zu jederzeit über das Internet das Bild jeder Überwachungskamera einsehen könnte? Was, wenn jeder zu jederzeit, auf die vorratsgespeicherten Daten der Provider Zugriff hätte? Wenn bald gar eine öffentliche Gendatenbank existiert, auf die jeder Zugriff hat?
Ein vollkommen transparente Welt würde zumindest das informationelle Machtgefälle beseitigen, so die These. Wenn alle von allen überwacht sind, dann kann auch niemand mehr einen Vorteil daraus ziehen.
Als ich mich mit diesem Gedanken konfrontierte, hatte ich ihn aber bald schon wieder verworfen. Denn wer ist das denn, das „repressives System„, dass Strübing hier meint? Wer ist denn diese „Elite„? Ist es nur der Staat? Meinetwegen auch die Konzerne? Wer ist die Repression, bzw. wer wäre es, wenn alle Daten für alle verfügbar sind?
– Schatz, über was hast Du sich denn so lange mit Frau Müller an der Straßenecke unterhalten.
– Nein, hier können Sie keine Lebensversicherung abschließen, tut mir leid.
– Hatte ich dir nicht ausdrücklich verboten, Dich mit Ihm zu treffen? Ab auf Dein Zimmer!
– Ach, Du rufst ihn also immer noch an. Soso…
– Waren Sie an diesem Tag nicht krank geschrieben?
– Oh, Sie kaufen Ihr Brot also bei der Konkurrenz. Aber für Brötchen sind wir gut genug?
– Was hattest Du noch mal gegenüber [gemeinsamer Freund] über mich gesagt?
Nein, lieber Volker Strübing. Das Problem ist keine anonyme (staatliche) Elite. Denn im Zweifelsfall sind die schlimmsten Diktatoren, immer die Menschen, die uns lieben (oder sonstiges Interesse an uns haben). Und ja, im Zweifel auch wir selbst. So traurig das auch ist.
Der Einwand gegen die Demokratisierung der Überwachung ist auf jeden Fall berechtigt. Wenn jeder zu jeder Zeit auf potentiell Jeden anderen Kontrolle ausüben kann, bilden sich mit Sicherheit soziale Überwachungsfelder aus, die einen freien Umgang der Persona mit ihrem Alltag schlicht verunmöglicht. Die kleinste „Übertretung“ wird zum Sündenfall stilisiert. Es gibt schließlich keine Gnade vor der Wahrheit der Aufzeichnung.
allerdings – und ich denke, das hier ein Knackpunkt liegen könnte – müsste das auch das Ende der Archive bedeuten, wie man sie momentan kennt. Denn die Daten wären ob ihres flüchtigen Ereignischarakters bei einem dermaßen ausgeweiteten Zugriff darauf verwiesen ständig zu zirkulieren. Andernfalls würde sich ein so hohes Datenaufkommen anhäufen, dass entweder extrem selektiv ausgewertet werden müsste, d.h. dass viele Daten einfach absent bleiben, oder es bedürfte wiederum eines Spezialistentums, das die gewünschten Informationen zusammenstellt; damit wäre wieder eine Datenelite im Spiel, die z.B. ähnlich wie Banken Daten verwalten und zirkulieren lassen. In keinem Fall aber wäre alles immer verfügbar.
Naja…man sollte das Thema aber mal ausführlicher diskutieren. Die Wahl zwischen informationeller Selbstbestimmung und der dunklen Seite der Macht scheint irgendwie in die Aporie zu führen.