Technikdeterminismus

Am Montag fiel mir ein Argument in’s Auge, nach dem ich schon lange suchte. Es geht um Technologien und warum es Quatsch ist zu glauben, dass wir auch darauf verzichten könnten, obwohl sie in der Welt sind. Christoph Kappes nämlich führt es so aus:

Jein. Das ist meines Erachtens nur noch eine Pseudoautonomie. Das Werkzeug ist da, und dann wird es eingesetzt, weil es Nutzen stiftet. Wie das Auto, da jammern und klagen auch alle, aber sie nutzen es, trotz Umwelt, Kosten, Sicherheit. Weil wir nicht anders können, als insgesamt effizient zu handeln- und das ist die Stelle, wo unser Geist zwar die Wahl hat, aber sie klugerweise nicht nutzt. Niemand geht 20 Stockwerke, wenn es einen Fahrstuhl gibt. Ist das noch eine „Wahl“?

Das ist in gewisser Hinsicht ein ökonomisches Argument. Aber Effizienzgewinne sind, egal ob man BWL studiert hat oder nicht, nun mal für jeden wichtig. Natürlich gibt es Leute, die den Fahrstuhl auch bei 10 Stockwerken nicht nutzen. Natürlich gibt es Leute, die kein Auto fahren (ich zum Beispiel). Aber davon darauf zu schließen, dass die Menschheit™  darauf verzichten könnte, ist ein Irrtum. Eine Technologie wird benutzt, wenn sie da ist, und zwar solange es für die selbe Aufgabe keine bessere Technologie gibt.

Das ist in etwa auch die Haltung, die aus „What Technology wants“ von Kevin Kelly spricht. Er argumentiert weniger theoretisch (Effizienzgewinne!) sondern empirsch („Schau, in all den tausenden Jahren haben sich Technologien immer soundso verhalten.„). Kelly knüpft seine Idee von Technologie deswegen eng an den Evolutionsbegriff.

Ich mach’s mir mal einfach: Wenn wir vorher gewusst hätten, was das Internet für Effekte zeitigen würde (erhebliche Probleme mit Urheberrecht und Privacy, erodieren staatlicher Souveränität: Kontrollverlust halt), hätten wir es dann trotzdem in Benutzung genommen? Jetzt schreien hier natürlich alle „Jaaa!“ aber ich bin mir sicher, einige Leute (manche Politiker, et al) hätten das gerne verhindert. Aber hätte man auf sie gehört? Ich glaube nicht. Die Wichtigkeit von Staatsgeheimnissen endet an der Möglichkeit eine E-Mail zu schreiben, statt einem Brief. Merkel würde niemals auf SMS verzichten wollen. Dann schon eher auf den Euro!

Das ganze in schwer: Sagen wir: Hiroshima, Nagasaki, Tschernobyl, Fukushima und Atommüll – dem allem wäre die Menschheit gewahr gewesen, bei der Erfindung der Atomenergie. Ich bin mir sicher, dass es viele Leute mehr gegeben hätte, die entschieden gegen den Einsatz dieser Technologie gewesen wären. Aber ich wette, dass die Menschen Atomkraft dennoch eingesetzt hätten (und es auch in Zukunft tun werden).

In What Technology wants kommt das Wort „inevitable“ gefühlt etwa so häufig vor, wie „the“. Es ist irgendwie eine moderne Bibel. Das Technium als gestaltendes, transzendentales Prinzip, das dafür sorgt, dass es immer weiter geht, dass es nie still steht. Eine Evolution deren Herren wir nicht wirklich sind. Erfindungen passieren wie Mutationen und erklären sich viel eher aus dem Gegebenen der vorhandenen Technologie, als durch irgendein menschliches Genie. (Technologie Z konnte erst erfunden werden, als Technologie X und Y so weit waren …)

Allerdings ist dann doch nicht alles so vorherbestimmt. Kelly vergleicht das „Wollen“ des Techniums mit dem „Wollen“ des Wassers in einem Tank. Das Wasser „will“ herausfließen. Das heißt nicht, dass es das auch schafft, aber es ist schon ein enormer Druck, der sich da aufbauen kann.

Die Wände des Tanks müssen entsprechend stark sein. Mit anderen Worten: will man eine bestimmte Technologie verhindern, muss man meist sehr viel Gegenkraft organisieren. Ich bin gespannt, ob die bei der Atomkraft ausreicht (zumindest in Deutschland).

Aber vor allem beim Internet bin ich mir sicher, dass, egal wie stark die Kräfte sind, die sich beizeiten gegen das Internet organisieren, es nicht aufzuhalten ist. Die Effizienz- und Freiheitsgewinne durch das Internet sind so enorm, dass diese Technologie jeden Tank zum Bersten bringen wird. Und was sich ihm in den Weg stellt, wird weggespült werden. Es ist der Kontrollverlust, der meine Zuversicht speist.

Wenn Technikdeterminismus eine Religion ist, dann bin ich ihr Anhänger. Ich glaube daran, dass sich nützliche Technologie durchsetzt, so sehr, wie ich an die Evolution glaube. Und wie bei der Evolution lässt sich auch immer erst im Nachhinein sagen, welche Technologie anscheinend „nützlich“ war. Es ist immer die, die sich durchgesetzt hat.

26 Gedanken zu „Technikdeterminismus

  1. schöner Artikel, danke!
    würde aber gerne noch was ergänzen:
    Manche Technologien in der realen Welt setzen sich durch, obwohl ihre Effizienzgewinne nur für kurze Zeit realisierbar sind, z. B. wegen endlicher Ressourcen, oder weil die Kollateralschäden nur am Anfang ignoriert werden können. Dadurch verschwindet der Effizienzgewinn dann irgendwann, und eine neue, bessere Technologie muss als Ersatz gefunden werden. Soweit noch d’accord mit deinem Artikel, aber brenzlig wird es, wenn der Ast, auf dem man sitzt, dann bereits irreparabel beschädigt ist. Abholzung von Wäldern; Verwüstung wegen fortschrittlicher, aber übermäßiger Nutzung; Ausrottung von Jagdwild dank verbesserter Waffen. Die Menschheit hat sich immer mal wieder in solche Sackgassen manövriert, das sollte man als Wermutstropfen immer im Bewusstsein behalten.

    Und das ganze in dem Artikel formulierte Durchsetzungsprinzip darf NUR bei Technologien positiv bewertet werden. Denn hier will ja hoffentlich niemand Sozialdarwinismus propagieren. Ebensowenig im Bereich der Staatsformen: Im röm. Reich hat sich das Prinzipat als effizienter erwiesen als die Republik, und das noch gewalttätigere Dominat war anscheinend noch effizienter, denn es hat sich durchgesetzt… Prost Mahlzeit!

  2. Stimme Dir zu, was das „unausweichliche“ (kein schönes Wort, aber das deutsche Pendant zu inevitable) des „Technikums“ angeht.

    Was aber, wie zum Beispiel auch die aktuelle Medienwissenschaft teilweise betont, nicht vergessen werden darf: Die Dialektik der technologischen Entwicklung und der wechselseitig abhängigen menschlichen Nutzung.

    Eine technologische Entwicklung passiert nie allein ex ipso, sondern immer in ständiger Korrespondenz zu der menschlichen Akzeptanz und (manchmal überraschenden) spezifischen pragmatischen Nutzung der Technologie.
    Das Internet ist das beste, fast tot zitierte Beispiel: Der ursprüngliche Zweck ist kaum mehr zu erkennen, die Intention der Akteure veränderte sich über die Zeit, heute steht diese Technologie für ganz andere Nutzen und Risiken als noch vor 10 Jahren. Nicht, weil die Technologie und ihre Evolution von vornherein so angelegt war, sondern weil der Mensch sie so verhandelt und gewandelt hat, um wiederum von ihr beeinflusst zu werden. Das kann man ökonomisch begründen (es setzt sich durch wofür der Mensch Geld bezahlt), muss man aber nicht.

    Sehr frei nach Clay Shirky: Technologie passiert nicht, wenn der Mensch sie aufnimmt, sondern sie passiert WEIL und WIE der Mensch sie aufnimmt.

    Der konventionelle Technikdeterminismus ist zu eindimensional, weil er diese wechselseitige Beeinflussung ausspart.

  3. Um Christophs rhetorische Frage zu beantworten: Ja, es gibt eine Wahl, wie auch immer sie motiviert sein mag (ökonomisch/moralisch, rational/irrational), und diese Wahl beeinflusst die Technik ebenso wie sie uns.

  4. Mich beschäftigt diese Sichtweise sehr, denn ich stelle immer wieder fest, dass das Verhältnis von Aufwand zu Nutzen dasjenige ist, was die Menschen treibt. So ist Twitter zum Beispiel hocheffizient, weil man in Minuten Timelines lesen kann und in Sekunden Inhalte verschicken und verteilen, un das eben in sonst schlechter genutzter Zeit. Soziale Netzwerke sind es, weil sie Kontakte ab 2. Grad aktivieren, was sonst nur sehr aufwendig ist. Und so weiter.
    Ich glaube, hier zwischen den Zeilen Skepsis und Unsicherheit zu hören, was das Wort angeht. Wir verbinden es mit „ökonomisch“, wie Michael oben sagt.
    Das ist aber eben kein „ökonomisch“ im Sinne einer Sichtweise, die man schätzen oder verachten kann. Es ist ein Bestreben jedes lebenden Systems, … hier hören wir Maturana klopfen, ich höre ihn genau.
    Es ist eben ein allgemeines Prinzip, das nicht nur für von Menschen geschaffene Technik gilt: Pflanzen wachsen zur Sonne hin, und das fördert ihre Entwicklung. Um Determinismus vs. Autonome Entscheidung drücke ich mich gern, denn bei der Pflanze gibt es wohl kein Bewusstsein, dem wir einen finalen Willen zuschreiben.
    Ausserdem habe ich inzwischen Schwierigkeiten mit dem Begriff „Technik“. Es ist ja nur ein Haufen Materie. Die Zweckbestimmung als Werkzeug bekommt die „Technik“ ja erst durch unsere Sinnzuweisung. So ist ein Hammer nur ein Ding mit Griff und Quader. Seinen Zweck, auf eine handlung gerichtet, erreicht er erst durch unsere Handlung und unsere Vorstellung.
    Selbst der Roboter, der „uns“ ein Brot schmiert, schmiert nur ein Brot. Dass wir es essen können und dass dies der Zweck einer (vor-liegenden) Handlung ist, dass machen wir durch unsere Sinnzuweisung.

  5. PS: Es ist schon spät. Waru, der letzte Teil meines Kommentars? Der Begriff „Technikdeterminismus“ macht mich immer ein bisschen ratlos, weil darunter verschiedenes verstanden wird. Die Idee, dass die technische Entwicklung deterministisch ist und dass Sachzwänge bestehen, würde ich so nicht unterschreiben. Für mich hat der mensch immer die Wahl, welche Technik er entwickelt und welche er nutzt, es gibt aber erstens ex post logische Entwicklungen und zweitens ist die Zeit für eine Idee „irgendwie reif“, wie der Sachverhalt zeigt, dass viele Ideen an verschiedenen Stellen der Welt entstehen.
    Deterministisch ist da aber nichts.
    Ich würde auch eher von Menschendeterminismus oder Lebensdeterminismus sprechen.

  6. @Friedemann:
    Ich bin unsicher, was diese Fragen angeht, da haben schon ganz andere Leute drüber nachgedacht, deswegen hatte ich oben Maturana erwähnt.
    Ich stecke mal ein paar Ideen zusammen. Ich meinte nicht „Dialektik Technik-Mensch“, auch nicht „Evolution“, ich meinte „Wir erzeugen die Welt, in der wir leben, buchstäblich dadurch, dass wir sie leben.“ (Maturana). Sieht man 1. den Menschen als psychisches System und 2. dass Systeme sich als Produkte ihrer eigenen Operationen realisieren, dann realisiert sich unser „Geist“ durch „Technik“. Wir verwirklichen uns durch Technik, die durch uns verwirklicht wird. Geist erzeugt sich durch Sein, Sein handelt durch Geist.
    Da ist einiges übrigens für meinen Geschmack dicht an den Ideen der Mystiker, und deswegen lasse ich das nun so stehen und nehme die Gedanken mitsamt ein paar Büchern mit ins Wochenende. Vielleicht habe ich mich auch verlaufen, an der Stelle sind wie gesagt schon ganz andere in 30 Jahre des Verstummens geraten 😉

  7. PS: Wobei es nicht ohne Technik geht, denn „Technik“ ist auch die Hand, die die Frucht pflückt und das Wissen um den Pflückprozess und das Erkennen, dass die Frucht eine Frucht ist und gegessen werden kann, und das Essen der Frucht.
    Vielleicht man das das Thema deutlicher.
    Vielleicht auch nicht 🙂

  8. Ich werfe mal den Begriff „Technikdarwinismus“ ein, manchmal entsteht neue Technik quasi zufällig und manchmal setzt sich eine vermeintlich bessere Technik nicht durch.

    (Moment, der Maler will was.)

  9. „Geist erzeugt sich durch Sein, Sein handelt durch Geist.“

    Also wenn das keine Dialektik ist… 😉

    Sicher, Du brauchst natürlich eine klare Abgrenzung von „Technik“, das ist das selbe Spiel wie mit „Medium“, das irgendwann damit endet, dass Stimmbänder Medien sind. Ich würde mal die Grenze ziehen bei bewussten/unbewussten kognitiven Prozessen. Du greifst instinktiv nach der Frucht und pflückst sie, aber wenn Du kurz nachdenkst und dann eine Leiter dazu benutzt, ist das Technik…?

  10. > wenn Du eine Leiter dazu benutzt, ist das Technik…?

    genau das ist hier die Frage: Ist das benutzen einer Leiter Technik oder ist die Leiter Technik oder ist beides auch noch Technologie? Hier wächst Kraut und Rübe (was wohl auch noch als Technik bezeichnet werden könnte)

    Das Standardbeispiel ist wohl neben Auto und AKW der Revolver (weiss der Teufel warum). Das sind alles eigentliche Artefakte, die jemand herstellt und damit einen Zweck verfolgt. Nachdem die Artefakte vorliegen (was soll hier Technik heissen), können sie verwendet werden. Soll verwenden Technik heissen? usw usw

  11. da muss man sicher erst mal eine gemeinsame begriffsklärung durchführen.
    „technik“ würde ich in dem zusammenhang umschreiben mit:

    – komplexe soziotechnische systeme,
    – die um ‚einfache‘ quasi-physikalische vorgänge und prozesse herum entstehen (wie: „automobil“, „tv“, „iphone“, fabrik-industrie mit maschinen …),
    – und sie einen ’sog‘ entwickeln für das handeln, verhalten, erfahren und kommunizieren in je bestimmten gesellschaften/kulturen,
    – so dass binnenlogik und eigendynamik entsteht (das würde ich statt „determinismus“ setzen),
    – die weder der technologie als solcher zugerechnet werden kann,
    – noch verantwortlichen „entscheidungen“ der einzelindividuen und gesellschaft.

    jetzt wäre die aufgabe, sich diese „binnenlogik und eigendynamik“ des internet/web näher zu betrachten, am besten im vergleich mit zwei anderen großtechnologien – ich würde auf der einen seite av-medien nehmen, auf der anderen seite automobilität.

    und dann würde ich derzeit, mehr aus dem bauch heraus und vor einer nötigen sorgfältigen analyse, michaels schlussfolgerungen zustimmen.

  12. @Technik – Kelly definiert sein Technium übrigens analog zu Kappes sehr weitläufig. Es gehört alles dazu, was durch Menschen in die Welt gebracht wird. Und nicht nur materielles, auch formales. Sprache ist eine Technik, so wie Apfelernte und der Buchdruck.

    @Christoph – du hast Recht. Determinismus ist zu weit gegriffen. Ich habe den Titel aber bewusst aus Provokation gewählt, denn das Wort „Technikdeterminismus“ wird gemeinhin immer nur dann verwendet, wenn man eine bestimmte Haltung diskreditieren will. Es ist synonym für: du hast unrecht/das ist ein Denkfehler. Ich frage mich schon lange: warum eigentlich?

    Mir ging es also darum, diese Sichtweise, die gemeinhin als „Technikdetermismus“ diffamiert wird, argumentativ zu unterfüttern und hier ein provokantes Glaubensbekenntnis abzulegen.

    @Picki Technikdarwinismus find ich tatsächlich besser. Wie gesagt, Kelly zeigt sehr schön die Paralellen zwischen Evolution und Technikentwicklung. Aus der Vogelperseptive wirkt das sehr ähnlich. Der Unterschied ist nur, dass das Gehirn hier eine durchaus wichtige Rolle spielt.

    Was in meinem Post nur angeschnitten wird: Das Prinzip, dass eine Zeit für eine Technologie gekommen ist und sie deswegen unausweichlich wird, ist von erstaunlicher tiefe, wenn man genau hinschaut.Wir haben es dann mit einem Akkumulationsprozess zu tun, der über Jahrtausende sedimentierte Schichten auftürmt, auf denen dauernd neues Entsteht, aber ohne, dass die unteren Schichten irrlevant würden.

    Vielleicht sollten wir diese evolutionäre Sichtweise noch in anderen Bereichen anwenden. Den Kapitalismus, zum Beispiel. Oder sollten dieses Denken einbeziehen, wenn wir über Regulation des Internets reden. Oder bei allen komplexen Systemen.

    Mit dem Computer haben wir das erste mal die Chance, evolutionäre Prozesse zu wirklich zu verstehen, sagte mal Douglas Adams. Er meint damit, dass wir mit dem Computer die Möglichkeit haben, iterativen Prozessen zuzuschauen und sie selbst zu kreieren und so die dynamiken verstehen.

    Ich bin mir sicher: Evolution wird die Schlüsselelement des zukünftigen Weltverständnis werden.

  13. Man muss hier gar nicht unbedingt die Technik in den Vordergrund stellen, wie Kelly es tut, wonach das Technium sich eines Tages verselbstständigen und völlig auf den Menschen verzichten könnte.

    Anfang der Neunziger hat der Biophysiker Gregory Stock ein ähnliches Wesen beschrieben und nannte es Metamensch. Nach der Entstehung des Lebens (als Mikroorganismus), der Zelle und des Vielzellers, ist der Metamensch bloß die nächste Stufe der Evolution und wird sich irgendwann auf anderen Planeten vervielfältigen. Evolution im allerweitesten Sinne ist Replikation von Informationen. Nach der genetischen Evolution der Natur sucht sich die Evolution einen neuen Replikator und findet ihn in der memetischen Evolution von Kultur, die nach Kelly eben auch Technologie umfasst und im Kern von der Natur gar nicht eindeutig unterscheidbar ist.

  14. vielleicht (nochmals) so rum: Kelly schlägt vor von einem „Technium“ zu sprechen.Das Technium ist ein neues Wort für eine neue Sache (in einer eigentümlichen Evolutionstheorie („Technikdarwinismus ;-))). Das finde ich einen bewussten theoretischen Ansatz, in welchem die Sichtweise (als theoria) reflektiert wird.
    Es wird aber alles auf den Kopf gestellt, wenn man Aussagen rausnimmt und in nicht weiter reflektierte „Technik“ oder Technologie“ einbindet oder ohne Konzept von „soziotechnischen Systemen“ spricht, was immer das sein könnte.
    Technium steht dann für eine bestimmte Geschichtsauffassung, in welcher sich wiederholende Muster aufscheinen. Was das mit Technik (oder mit welchen Aspkten der Technologie) zu tun hat, müsste noch erläutert werden. In der deutschen Sprache heisst Technologie ja soviel wie Lehre der Technik, aber im englischen Sprachraum steht der Ausdruck eher für das, was wir als Technik bezeichnen.

    Oder so: Wenn Sozialwissenschaftler über vermeintliche Technikfolgen philosophieren, ohne sich darum zu kümmern, wie sie den Ausdruck Technik verwenden, würden sie besser Kelly folgen und von Techniümern sprechen.

  15. Ein brillanter (und ausführlicher) Vergleich von biologischer Evolution und „technologischer Evolution“ findet sich übrigens in „Summa technologiae“ von Stanislaw Lem. Da werden erstaunlich viele Parallelen zwischen beiden erörtert. Außerdem werden die „Entwicklungsfähigkeiten“ beschrieben, die die biologische Evolution perfekt beherrscht, die technologische aber kaum; sowie „Fähigkeiten“, die nur die technologische Evolution hat, die biologische Evolution jedoch gar nicht.

    Ich kann das Buch jedem nur empfehlen der sich nicht daran stört, dass es zur Hälfte auch um darauf basierende Futurologie geht.

  16. Eine schicke, »steile These«, wie Du sie ja so gern formulierst. Ich frage mich, ob ein solches Glaubensbekenntnis überhaupt noch Raum für eine »technikvorsichtige« Perspektive lässt? Ich versuch‘ mal, meinen Standpunkt darzulegen. Mir fehlt etwas »Vor-Sicht« im Sinne einer «Voraus-Sicht«, einer Umsicht – eine Unterscheidung zwischen Technologie nutzender und Technologie produzierender Seite. Technologie, so verstehe ich Dich, ist verfügbar, bereitgestellt: Sie ist in der Welt, schreibst Du an einer Stelle, und »wird benutzt, wenn sie da ist, und zwar solange es für die selbe Aufgabe keine bessere Technologie gibt.« Ausgeklammert aus Deinem Credo bleiben der Aufwand und die Kosten der Bereitstellung. Technik und Technologie erneuern sich nicht aus sich selbst heraus. Sicherlich erleben – und überleben – wir heute eine Technikgeneration nach der nächsten; Technik und Technologie folgen in immer verkürzteren Abständen aufeinander und stehen uns in immer umfassenderer Weise zur Verfügung … aber nur, weil wir sie uns in immer umfassenderer Weise zur Verfügung stellen können. Beschleunigung ist kein der Technik inhärentes Prinzip: Der Umstand, dass wir unsere Rechner immer schneller arbeiten lassen und mehr und mehr Lebensbereiche mehr und mehr technologisieren und digitalisieren können, gründet darauf, dass wir in der Lage sind, uns die Möglichkeit zur Beschleunigung, zur Innovation, zur Entwicklung offenzuhalten – nicht nur intellektuell, auch nicht nur kulturell (oder gar anthropologisch), sondern weil wir uns schlicht und ergreifend auf ganz undigitale und unegalitäre Weise die nötigen Rohstoffe sichern. Was ich sagen möchte, ist, glaube ich, folgendes: Man tut ganz gut daran, sich in Erinnerung zu rufen, dass das »Gegeben[e] der vorhandenen Technologie« nur bedingt gegeben ist. Innovation ist die Konsequenz der Tatsache, dass Rohstoffe zur Innovation zur Verfügung stehen – eher noch: verfügbar gemacht werden können. Dein Credo, habe ich den Eindruck, blendet diesen zuweilen gewaltigen und von Gewalt geprägten »Wettbewerb« aus. Aber vielleicht liegt meinem Einwand ja ein falsches Verständnis zugrunde: Dass es Dir gar nicht so sehr um eine gewisse Nachhaltigkeit geht, die mit dem Digitalen möglich werden könnte?

  17. Christoph Kappes schreibt: „Es gibt keine Logik, die der Technik innewohnt. Die Logik ist die von Leben.“ Das würde ich dick unterstreichen. Insgesamt spiegeln Technologien auch nur den normalen Irrsinn der Menschheit wider. Eine Art Entelechie der Technologie, dass die technische Entwicklung sozusagen ihrer eigenen innewohnenden Logik unaufhaltsam zustrebt, Technologie als Naturprozess, ist ein sehr reizvoller Gedanke, führt aber auch nur wieder zurück zum Menschen, denn in diesem Vorgang sind ja die Menschen die Ameisen, die den Prozess ausführen. Ich meine, an diese Technik-Entelechie kann man nei näherem Hinsehen nicht glauben, auch wenn man es gerne hoffen möchte, weil dann – oh Wunder – doch eine Art Venunftprinzip in die Geschichte zurückkehren würde, sogar eine Vorherrschaft der Vernunft. Das ist zu schön, um wahr zu sein.
    Früher sagte man: „Der Krieg ist der Vater aller Dinge“. Heute haben wir – schätze ich sehr grob – 5 bis 10 Mio. Wissenschaftler weltweit, die in Forschung und Entwicklung tätig sind. Was machen die? Sie folgen der Logik der Forschung oder möchten es jedenfalls gerne. Unsere praktisch wirksame Zukunft wird aber immer die sein, die finanziert wird bzw. die bürokratischen Hürden in den Konzernen überspringt. Und die begehrt wird. Nicht unbedingt die sinnvollsten Dinge setzen sich durch. Tiefseeschleppnetze – toller Fortschritt. Warum haben wir die Pestizide, die wir haben, und nicht andere Methoden? Internet ist – bei aller Nützlichkeit – auch alles andere als die Schönste aller Welten.
    Wenn sich Technologien durchsetzen, dann diejenigen, die menschliche Motivationen bedienen. Die nur den menschlichen Verstand bedienen – im höheren Sinne nützlich wären, haben es schwer. Schönes Beispiel auch der Korken in Weinflaschen, der technologisch definitiv veraltet ist. Das menschliche Wesen in seiner ganzen Vemurkstheit kommt immer wieder durch. „Aus etwas, was aus so krummen Holz ist wie der Mensch, wird nie etwas ganz Gerades werden.“ (Kant, leider nur aus dem Gedächtnis zitiert, so ähnlich hat er’s gesagt.)

  18. In Lyams Beitrag klingt eine Kritik an, die ich bisher in diesem Diskurs vermisse. Technikentwicklung wird heute(?) doch sicherlich schlicht auch von der wirtschaftlichen Verwertbarkeit bestimmt, was noch etwas anderes ist als Karstens Effizienzgewinne. Als Beispiel: Dass sich die VHS-Casette gegen das Video8-Format, das einige unbestreitbare technische Vorzüge hatte, durchgesetzt hat, kann u.A. auf die handlebarkeit bei Verleih, konkret Verleih von Pornos, zurückgeführt werden. Damit kommt eine weitere Dimension ins Spiel. Darwinismus ist schon richtig, aber es konkurieren eben nicht nur technische Entwicklungen miteinander! Auch Friedemann weist darauf hin, dass „eine technologische Entwicklung nie allein ex ipso passiert“, nennt aber nicht beim Namen, dass die wirtschaftlichen (Macht~)Verältnisse, eine entscheidende Rolle spielen. Klar war das auch schon beim Pflug so, was sonst sollte diese Entwicklung voran gebracht haben. Ich mache aber ad hoc einen Unterschied und bemühe (m)ein Wertesystem, in dem ich postuliere, dass es gesellschaftlich nachhaltige Entwicklungen gibt und kurzfristige „Gewinnmitnahmen“. Dann diskutieren wir wieder, unter welchem gesellschaftlichen Konsens wir die Welt gestalten wollen und nicht ob wir einem Determinismus oder einem Darwinismus unterliegen. Damit relativiert sich auch mspros plastisches Bild des Wasserbeckens. Es ist nicht eine unbestimmbare mächtige Kraft (Wasser), die durch irgendwelche, mehr oder minder starken Wände (absurder Weise) gehalten werden muss. Das Wasser ist die technologische Kraft die mir als Mensch zur Verfügung steht und ich bestimme (will ~), in welchen Kanälen selbiges abfließt. Richtig an diesem Modell ist allerdings, dass wenn ich mich nicht einmische, keinen Abfluss, keine Bestimmung schaffe, die Kraft an der schwächsten, u.U. unnützesten oder verheerendsten Stelle austritt.

  19. @Lyam – das finde ich eine sehr treffende Beobachtung: eine Unterscheidung zwischen Technologie nutzender und Technologie produzierender Seite – und auch wie Du damit umgehst, ist für mich sehr stimmig – obwohl ich ganz anders akzentuiere:
    Technologie ist NICHT gegeben, sie wird – wohl in unserer Gesellschaft in gewalttätiger Weise – gemacht.
    Dann wäre die Frage, was uns determiniert, dieses Technik machen in dieser Weise zuzulassen. Ist es die Technik, die sich uns auf diese Weise aufzwingt? Dann wären wir technikdeterminiert und zwar nicht aus der Nutzungsseite.
    Die Frage lässt sich zu Christoph Kappes‘ Argument zurückführen: Was bewegt uns, Technik zu machen? Ist es ein Effizienzgebahren, wie er meint?
    Ich plädiere für ein „Erkennen“: Wir erfinden (rücksichtslos) Maschinen um eine Techno_Logie zu schreiben, in welcher wir unsere Begreifen entwickeln.

  20. Hallo Lyam, schön mal wieder von dir zu lesen!

    Wenn ich Technologie in den Kontext der Evolution stelle und sage, dass „nützliche“ Technologie sich durchsetzen wird, dann ist die Komplexität damit längst nicht beschrieben. In der Evolutionslehre gibt es den Begriff „viabel“. Viabel bedeutet weder mit „nützlich“, „stark“ oder „fit“. Es sagt einfach nur aus, dass dieses Etwas in dieser Situation unter diesen Bedingungen hinreichend erfolgreich bei der Erhaltung und Entwicklung seiner Spezies gewesen ist. Es ist also ein Zustand, den man nur empirisch feststellen kann und zwar immer nur im Nachhinein. „Viabel“ ist also nichts, was man einem Etwas in einem Jetzt zuschreiben kann. Viablität kennt keine Gegenwart.

    Soviel zur Theorie und nun zur Praxis. Natürlich hast du recht, wenn du dem technologischen „Nutzen“ die sozialen, ökologischen und anderen Kosten gegenüberstellst. Keinesfalls würde ich die leugnen wollen. Ich glaube nur, dass wir diese Dinge mehr oder weniger durchaus in diese Viabilität einpreisen. Du hast recht, dass dafür eine gewisse Voraussicht die Bedingung ist.

    Es gibt viele Leute, die der Menschheit diese Voraussicht absprechen. Der Klimawandel wäre ein Indiz. Oder der dräuende Peak Oil. Und dann werden Schreckensszenarien an die Wand gemalt und beschworen, dass ja alles bereits zu spät sei und wir morgen gegen die Wand fahren.

    Ich will das jetzt nicht zu sehr in’s Lächerliche ziehen, denn die Probleme existieren in der Tat und in der Tat sind sie dringend. Ich glaube aber gleichzeitig, dass die Existenz und Intensität dieses Diskurses schon der Beweis für die eben noch in Frage gestellte „Voraussicht“ ist.

    Kurz: Der Diskurs über die mangelnde Voraussicht des Menschen ist die Voraussicht des Menschen.

    Das heißt nicht, dass der Klimawandel nicht doch schlimme Auswirkungen haben wird und dass Peak Oil unsere Wirtschaft nicht doch extrem verändern wird. Es heißt aber, dass wir bereits angefangen haben uns darauf vorzubereiten, Präferenzen zu justieren, alternative Technologien zu entwickeln und unsere Gesellschaft insgesamt zu transformieren. Und ja, es wird auch unseren Technologiemix verändern.

    Mit anderen Worten: es ist alles nicht der Weltuntergang. Und wenn du mich fragst wohin sich die Technologie insgesamt verändern wird, würde ich durchaus sagen, in Richtung Nachhaltigkeit, Ressourcenschonend, Effizienz, Energiesparsamkeit, etc. Ich glaube, nicht-nachhaltige Technologien werden in Zukunft nicht mehr viabel sein.

    Aber das wird man erst im Nachhinein festgestellt haben können.

  21. @mspro Dass die Menschheit offenbar den gangbaren Weg gegangen ist, stimmt in toto, aber nicht im Detail (Osterinsel als hist. Paradigma, die Hungertoten steigen weltweit in den letzten Jahren wieder an … jeder Hungertote ist ein Beispiel für einen „nicht gangbaren Weg“) und enthält keine Aussage über die Qualität des ganzen Prozesses, sondern nur: Menschheit lebt ja noch. Ob man das schon als erfolgreiche Entwicklung bezeichnen möchte?
    Du hast im übrigen oben von einem evolutionären Prozess der Technologien etwas anderes gesagt: „Eine Evolution, deren Herren wir nicht wirklich sind. Erfindungen passieren wie Mutationen …“ Das scheint mir der Teil deines Beitrags zu sein, der wirklich interessant ist und wo man nachdenklich werden kann. Wenn wir nicht Herren des Prozesses sind, wäre die ganze „Technikfolgenabschätzung“ vergebliche Liebesmüh. Tatsächlich sind ja immer hauptsächlich diejenigen mit dem Warenen vor den Folgen befasst, die mit der Produktion der Technologien nichts zu tun haben. So macht sich vielleicht schon mancher Gedanken über die Folgen von fliegenden Roboter-Soldaten, während andere munter dabei sind, diesen „Menschheitstraum“ zu verwirklichen.
    Viele warnen, viele sagen: „Für den Bau der Atombe stehe ich nicht zur Verfügung“, viele verabreden den Atomwaffensperrvertrag – und am Ende passiert eben doch alles, was technisch möglich ist, „inevitable“ – irgendjemand findet sich immer, der es macht, und man kann doch schon drauf wetten, dass unabhängig von aller weisen Voraussicht irgendwann irgendwo ein atomares Scharmützel losgeht.
    Von daher kann man deinen Satz natürlich auch einfach herumdrehen: Wo die „mangelnde Voraussicht des Menschen“ so häufig zu beklagen ist, muss an diesem Mangel wohl prinzipiell was dran sein. Ich würde auch tatsächlich eher vermuten, dass der technologische Prozess stark, vielleicht sogar zunehmend hauptsächlich, vom Korrekturbedarf bestimmt ist – also von „Nachsicht“.
    Wie sagte Kaiser Wilhelm so schön anlässlich der Kriegserklärung WK I: „Ich habe alles reiflich erwogen …“ Kontroll-Illusion nennt man so was. Over-confidence. Frommer Glaube.

  22. Pingback: Technologie und Freiheit – das Unabomber-Manifest | Warum alles auch ganz anders sein könnte.

  23. Lieber Michael,

    die Freude ist ganz meinerseits! Deine Erläuterungen haben mich ordentlich ins Grübeln gebracht; daher meine Antwort erst mit Verzögerung.

    Deine Ausführung zum Stichwort »Viabilität« erschien mir auf den ersten Blick recht schlüssig; mit etwas mehr Abstand tue ich mich allerdings schwerer mit dem Gedankenspiel, dass Mensch die Viabilität der ihn umgebenden vzw. durch ihn angestoßenen Entwicklungen erst rückblickend feststellen kann und der Begriff daher ein rein deskriptiver sein soll. Für das Überleben des Regenwurms im Regenwald unter veränderten Klimabedingungen mag die Beobachtung seiner Viabilität angebracht sein. Für die Beurteilung menschlichen Wollens und Handelns fehlt mir – ich finde leider keinen anderen Begriff! – die Bewertung, der moralische Maßstab. Du meintest ja, Viabilität »sagt einfach nur aus, dass […] Etwas in dieser Situation unter diesen Bedingungen hinreichend erfolgreich bei der Erhaltung und Entwicklung seiner Spezies gewesen ist. Fritz hat das Dilemma sehr passend auf den Punkt gebracht, wie ich denke: Viabilität erlaubt »keine Aussage über die Qualität des ganzen Prozesses, sondern nur: Menschheit lebt ja noch. Ob man das schon als erfolgreiche Entwicklung bezeichnen möchte?« Ergo: Definiere »erfolgreich«. Im Prinzip komme ich nämlich zu dem Schluss (Fehlschluss?), dass jede menschliche Planung, jede geplante, subjekt gewollte, angestrebte, konzipierte Entwicklung aus der ein oder anderen Perspektive auf ihre Viabilität hin überprüft wird: Nämlich aus der Perspektive ihrer Motivation. Mit leichter Variation wiedeholt: Jede willentliche (technologische) Entwicklung soll doch ihre Viabilität, ihre Gangbarkeit, ihre »Tauglichkeit« bewähren. Ich möchte, habe das dringende Bedürfnis, ein technisches Problem zu lösen, gehe daher in mich und entwickle – dank der vorhandenen Ressourcen – eine technische, anwendungsorientierte Lösung. Technik ist zweckgebunden; sie ist da, »um [füge hier angestrebten Zweck ein] zu«: um nämlich in Zukunft und auf viable, gangbare* Weise ein Problem zu bewältigen. Insofern betreibt jeder Betrieb, jede Branche, jeder Geldgeber aus seiner ihn motivierenden Perspektive »Technikfolgenabschätzung«. Die Frage ist daher vielleicht eher die, welchen Technikfolgen man welches Gewicht beimisst: Hat die wirtschaftliche Rendite oder die ökologische Nachhaltigkeit Vorrang, um es mal schwarz gegen weiß zu formulieren? Ist es das Versprechen auf flächendeckende Energieversorgung, oder die Sorge um die Endlagerung atomarer Brennstäbe? Wie vor- und umsichtig ist Mensch bei der Einschätzung der Viabilität seiner Entwicklungen? Aus welchen Katastrophenerfahrungen bringt man wie viel Bedacht mit? Mit diesen Wortspielen und den sich aus ihnen ergebenden Fragen im Hinterkopf kann ich Dir, meine ich, halbwegs präzise widersprechen. Du hast ja erklärt, Viabilität könne man »nur empirisch feststellen« und »immer nur im Nachhinein. “Viabel” ist also nichts, was man einem Etwas in einem Jetzt zuschreiben kann. Viablität kennt keine Gegenwart.« Ich würde dagegenhalten: Viabilität kennt durchaus eine Gegenwart, eine Geistesgegenwart: eine menschenrechts- und umweltorientierte Ethik.

    [*Ich finde die Vokabel »gangbar« als Synonym für »viabel« (via = Weg) wirklich reizend; Fritz hat sie ja oben eingeführt.]

    Zur »Frage, was uns determiniert, dieses Technik machen in dieser Weise zuzulassen. Ist es die Technik, die sich uns auf diese Weise aufzwingt?« (Rolf)

    Die Erfahrung, die eine technikorientierte Kultur aus der Entwicklung einer die eigenen Bedürfnisse absichernden Technologie zieht, ist die: Das ›Projekt Technologie‹ gelingt, wenn die Viabilitätskriterien erfüllt werden und das (soziale, ökologische oder ökonomische) Ausmaß der Kollateralschäden abgefedert werden kann. Es kann vollbracht werden. Einfach göttlich. Diese Erfahrung wirkt eben unmittelbar – und vor allem ja in zweifacher Hinsicht – auf das ›Selbstbewusstsein‹ zurück: Zunächst legt Mensch sich selbst das Feedback vor: Problem gelöst. Dieses Feedback ist aber ein keineswegs sachliches: Die Auflösung des Problems enthält gleichzeitig eine emotionale Rückmeldung: den Schulterklopfer, das kollegiale »Gut gemacht!«, die vor Stolz anschwellende Brust, die Beförderung. Die Rückkopplungsschleife, die Fritz oben beschrieben hat, ist also mehr als zutreffend: »Wenn sich Technologien durchsetzen, dann diejenigen, die menschliche Motivationen bedienen.«

    Umso wichtiger ist es daher, ausdrücklich den Versuch zu unternehmen, die (zumindest in meinen Augen) etwas zu vereinfachende Dialektik zwischen Mensch und Technik aufzubrechen. Man sollte sich – mindestens – in eine Dreiecksbeziehung eindenken: Mensch – Umwelt – Technik, um sich wieder gewahr zu werden, wie sehr die Umwelt das Verhältnis zwischen Mensch und Technik sowohl in Bezug auf die Freiheit zur Manipulation ermöglicht als auch auf der Ebene der Ressourcenendlichkeit vordefiniert. Das hilft ein wenig gegen die Blindheit der Wissenschafts- und Technikgläubigkeit.

    Was Deine These anbelangt, »[d]er Diskurs über die mangelnde Voraussicht des Menschen [… sei bereits] die Voraussicht des Menschen« … nun ja. Ob Weltuntergang oder nicht, hängt wohl sehr stark von den geographischen Koordinaten ab, von denen aus man seine Fluchtpunkte in die Welt zieht. Zumindest in Bezug auf die Lernfähigkeit unserer hiesigen staatlich-politischen Rahmen bin ich inzwischen nicht mehr ganz so zuversichtlich … 🙂

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