Ich will lesen!

Ich lese kaum noch richtig Bücher, seitdem ich am Internet wie am Tropf hänge. Ich merke sehr deutlich, wie das Lesen im Internet meine Aufmerksamkeit und meine Art des Aufnehmens und Verstehens umkonfiguriert. Ich bin mir sicher, einige von euch kennen das. Konzentrationsschnappatmung. Aber gleichzeitig volle Konnektivität. Man kann sofort nachfragen, Kommentar zu schreiben, verbloggen. Das Gelesene verbleibt nicht mehr in einem Außen, dass man herein schaufelt, sondern webt mich in sich ein, antwortet auf mich.

Wie dem auch sei. Ich will dennoch Bücher lesen. Es ist nun mal die Hypothek unserer Achsenzeit, dass die wirklich relevanten Gedanken nach wie vor in Buchform gegossen stehen. Ich bin mir sicher, dass sich das ändert, ändern wird. Aber bis dahin will ich auf diesen Wissens- und Gedankenschatz ungern verzichten.

Eine Möglichkeit Internet und Buch zusammenzudenken sind öffentliche Lesesessions. Plomlompom hat gerade eine angeregt zu dem Buch: The Fall of Public Man von Richard Sennett und ich werde da mitzumachen.

Schon lange beneide ich Plom um seine Konsequenz und Disziplin, sich durch wahnwitzige Wälzer wie den Penrose durchzubeißen und dabei das Buch in seinem Wiki zusammenzufassen. Und vor allem denke ich mir: „WOW! Was für ein toller Dienst an der Menschheit!“ Ploms Zusammenfassungen können durchaus eine Buchlektüre weitestgehend ersetzen (das mag auch an seinem Können liegen) und so komme ich langsam auf den Idee, dass zusammenfasste Bücher doch das sinnvollere – weil internethirnkompatible Google Books wäre. Nicht stupide online gestellte Rohdaten, sondern internetkompatiblere Zusammenfassungen, die auch Twitterer und Youtubefilmschauer durchzulesen im Stande sind, werden gebraucht. (Das gilt vor allem seit Bücher zum großen teil aus Füllmaterial bestehen, wie Kathrin Passig letztens erst wieder in einem ihrer tollen Texte bemerkte.)

Neben Plom hat das zum Beispiel Thomas Strobel auf Twitter mit dem Sarrazinbuch gemacht, was eine grandiose Tat war. Das Resultat kann man sich nach wie vor hier angucken, Martin Lindner sei Dank. Ich habe dadurch das Gefühl, dass ich durchaus den Inhalt des Buches kenne, was – trotz der enormen Absatzzahlen – erschreckend wenige Menschen von sich behaupten können.

Was aber fehlt, ist eine Infrastruktur für sowas. Weder Ploms Wiki scheint mir da besonders leichtgängig, noch will ich meinen Twitterstream mit Lektürenotizen zumüllen. Dennoch will ich gerne eine „Wissenressource“ aufbauen, der man aber „folgen“ können soll. So eine Mischung aus Blog und Wiki wäre toll dafür. Am besten mit Versionierung im Hintergrund, so GIT-mäßig. Dazu wären noch „soziale“ Features sehr hilfreich: Gruppen, damit sich solche Lesekreise wie unserer bilden können. Kommentare, Verweise, etc.

Und dann bin ich gestern auf das Projekt „Quote.fm“ von UARRR und seinen Freunden gestoßen, die etwas – naja – verwandtes machen wollen. Einen Lesekreis Social Network, aber für Webtexte. Und statt Zusammenfassungen wollen sie Zitate sammeln. Aber von der grundlegenden Idee her, wäre das sicher schon ein guter Anfang. Vielleicht ließe sich das Projekt ja in Richtung eines allgemeineren Lesenetworks weiterbauen. Vor allem, da sie mittlerweile selbst nicht mehr so an die rechtsmäßige Durchführung ihres Projektes glauben. Vielleicht meldet sich ja Uarrr an dieser Stelle.

Zur rechtlichen Lage was Zusammenfassungen angeht, kann man eigentlich froh gen Mutes sein, wenn man sich das kürzliche Urteil in Sachen FAZ, Sueddeutsche vs. Perlentaucher anschaut.

Bis es aber so ein Tool gibt, werde ich meine Lektürenotizen in einzelnen Blogeinträgen verwalten, die ich dann immer wieder update. Eine Krücke, klar. Aber irgendwo muss man mit dem Weltretten ja anfangen.

6 Gedanken zu „Ich will lesen!

  1. An dieser Stelle melde ich mich mal. Würde mich hier auch „UARRR“ nennen, aber mein richtiger Vorname ist eigentlich auch ganz gut.

    Folgendes: Das Ding wird an den Start gehen und für jeden nutzbar sein, die angesprochenen rechtlichen Probleme haben wir im Griff, bzw ausgelagert. Mehr kann ich dazu gerade noch nicht sagen, aber glorreicher hätte es für uns gar nicht laufen können.

    Zur Funktionalität: Es soll im Prinzip das werden, was Dribbble für Layouts, Blip für Songs und Dailybooth für Gesichter ist: Ein twitterähnlicher Service für eine bestimmte Sache. In diesem Fall Leseempfehlungen für Online-Texte. Übliches und bekanntes Prinzip, Freunden folgen, von denen man gerne Empfehlungen bekommt, Popular-Texte, die gerade viele gut finden und von daher so Schwarmintelligenzmäßig gut sein müss(t)en, etc.

    Ich sehe das Ding nicht ganz für Bücher, weil es weniger eine Zitatsammlung, als eine Textempfehlung werden soll. Und ein Zitat aus einem Buch abschreiben und dann einen Amazon-Link setzen, ist zwar Referrer und damit geldtechnisch für uns recht verlockend, bringt dem Leser aber wenig, weil da die Hürde des Kaufens eines Buches besteht.

    Oder so.

    Bin da, falls Fragen aufkommen sollten.

  2. Annäherung von Blog und Wiki find ich auch gut.

    In der nächsten Generation möchte ich in meinem Wiki von Diskussionsseiten auf Kommentare-unterm-Text umsatteln und so viel wie möglich per RSS abonnierbar machen. Im Grunde schwebt mir ein Blog vor, in dem die Texte nicht linear (neue Einträge oben), sondern hypertextuell zusammenhängen (keine Reihenfolge von Einträgen außer der individuellen Klickspur), mit verschieden visualisierbaren Versionsgeschichten der einzelnen Einträge.

    Infolge wäre auch nicht (bloß) eine chronologische Reihenfolge von neuen Einträgen abonnierbar, sondern einfach jede Wachstumsrichtung des Wikis, seien es nun Artikel-Veränderungen oder automatisch anwachsende Synapsen zwischen den Einträgen (Mutationen meines AutoLink-Systems) oder was mir sonst noch so einfällt, natürlich auch nach Regexp-Suchen filterbar.

    #IdeenUmHalbFünfUhrFrüh

  3. Es ist übrigens meiner Ansicht nach ein Irrglaube zu denken, dass eine Zusammenfassung schon reicht, um ein Buch zu kennen und gehaltvolle Schlüsse daraus zu ziehen. Das würde nur bedeuten, dass Autoren gleich nur Essays schreiben müssten. Dabei ist das Buch an sich, auch die dicken, auch schon nur Exzerpte der Gedanken des Autors. Und unserer Lesen auch wieder eine Externalisierung etc.
    Die einzige wahrhaftige Lösung wäre eine Beschleunigung der kognitiven Fähigkeiten was die Textauffassung, dann die Textinterpretation und dann die Neubildung betrifft. Aber das ist ja ein evolutionärer Fakt.

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