Analyse eines Schnellschußes

Ich habe gestern einen Fehler gemacht. Ich habe etwas gemacht, was ich anderen gerne vorwerfe. Ich habe aufgrund von unvollständigen Informationen geurteilt und ich glaube, ich habe dadurch Leuten unrecht getan.

Ich will meinen Fehler hier analysieren, nicht um ihn zu rechtfertigen, sondern um mich zu entschuldigen und als Lehrstück, wie man (also vor allem ich) solche Fehler in Zukunft vermeidet.

Zu dem Zeitpunkt, an dem ich den Tweet geschrieben hatte, stellte sich die Situation wie folgt dar: Das Strache-Video war herausgekommen und natürlich fand ich das erstmal prima. Man kann über die Wirkung solcher Enthüllungen streiten, aber erstmal ist es etwas Gutes, wenn sowas ans Licht kommt.

Verwundert war ich wie viele über den Zeitpunkt. Erst zwei Jahre nach der Aufnahme gelangt es an die Öffentlichkeit. Wer hatte es vorher? Wer hielt es zurück? Ist der Zeitpunkt der Veröffentlichung politisch bestimmt? Von wem? Mit welchem Ziel? Ich denke das sind relevante Fragen und ich bin sicher nicht der Einzige, der sie sich gestellt hat.

Dann wurde ich aufmerksam auf die Tweets über Jan Böhmermanns anscheinend über längere Zeit andauernde Eingeweihtheit in den Publikationsprozess. Böhmermann hat mitte April bereits als Scherz den gesamten Inhalt des Videos zusammengefasst, ohne dabei sein Wissen als solches zu markieren. Seine Worte ergeben erst in der Rückblende sinn. Zudem machte er in seiner Sendung am Vortag der Veröffentlichung eine Andeutung zur Veröffentlichung, die ebenfalls verwunderte.

All das kann zu recht stutzig machen. Aber aus diesen paar Informationen zog ich voreilige Schlüsse:

1) Ich zog daraus den Schluss, dass Böhmermann teil einer halböffentlichkeit sein müsse, ein exklusiver Kreis von Leuten, die sich seit geraumer Zeit und mindestens einen Monat über das Video austauschen.

2) Ich zog außerdem den Schluss, dass es sich um eine journalistische Halböffentlichkeit handeln muss, denn es waren Journalisten, die das Video letztendlich veröffentlichen. Und auch wenn man darüber debattieren kann, ob Böhmermann selbst als Journalist gelten kann, darf man davon ausgehen, dass er sich viel im journalistischen Milieu bewegt, dort gut vernetzt ist.

3) Ich zog also folgenden vorschnellen Schluss: Eine exklusive, eingeschworene (nienmand leakt) Halböffentlichkeit aus Journalist/innen hält über mindestens vier Wochen (wahrscheinlich deutlich länger) ein Video zurück, um es zu einem bestimmten Zeitpunkt zu veröffentlichen. Dieser Zeitpunkt schien die Europawahl zu sein. Weil: Biggest Impact.

Ich fand meine Schlussfolgerung in dem moment selbst so weitreichend, dass ich vorsichtshalber formulierte: „der eindruck, dass journalisten eine verschworene kaste sei, die informationen beliebig zurückhält oder plaziert, ist hier schwer widerlegbar.“

Im Laufe des Abends bekam ich zusätzliche Informationen, die meinen Eindrücken widersprachen. Ich erfuhr über den Publikationsprozess durch die SZ. Ich erfuhr, dass Böhmermann einfach auch einer von denen war, dem die Quelle das Material angeboten hat. UPDATE: Herrje. informationen veralten so schnell dieser Tage. Zumindest der Vorwurf einer exklusiven, journalistischen Halböffentlichkeit scheint doch noch nicht ausgeräumt zu sein, laut Spiegel Online. Ach, ach.

Es gibt immer noch Fragen und einige Dinge wirken immer noch … merkwürdig. Auch kann man darüber diskutieren, ob Böhmermann irgendjemandem außer seinem Ego mit diesen Halb-Leaks (hihi, ich weiß was, was ihr nicht wisst) einen Gefallen getan hat.

Aber egal, wie sich die Sache nun konkret abgespielt hat: Ich hatte unrecht. Ich habe den Fehler gemacht, unvollständige Informationen zu einem Narrativ zusammenzuspinnen, das mir schlüssig erschien. Und ich habe den Fehler gemacht, diese Interpretation statt sie mir nur zu denken, gleich herumposaunt zu haben.

Ich bin damit einigen Journalisten auf die Füße getreten und habe den Journalismus als Ganzes zu unrecht in ein fahles Licht gestellt. Dafür möchte ich hier um Entschuldigung bitten.

Die Tweets mit den Fehlinterpretationen habe ich gelöscht, damit sie sich nicht weiter verbreiten.(Ich kam erst jetzt dazu, da ich das ganze WE auf einem Blockseminar war)

Claiming Common Spaces II

Mein Text: „Die Geschichte der Digitalisierung in fünf Phasen“ wurde von Forum Freies Theater in einer gekürzten und einer in Englische übersetzen Version als PDF veröffentlicht.

Das hat allerdings auch den Grund, dass ich am 25. Mai dort im Rahmen der Veranstaltung „Claiming Common Spaces II“ über Commons spreche werde. Wer in Düsseldorf ist, bitte vorbeikommen.

There is no English word for “Digitalisierung”. Instead, one speaks of “technology”, “artificial intelligence” or “innovation”, also addressing different topics and various de- bates each time. In Germany, the term em- braces all those processes of structural ad- aptation that the introduction of digital technology into our everyday lives entails.
Link: https://produktionshaeuser.de/wp-content/uploads/2019/04/CCSII_Magazin.pdf?x68854

(2) re:publica 2019 – Twitterlesung – YouTube

Dank @HappySchnitzel gab es dieses Jahr wieder eine Twitterlesung auf der re:publica. Ich war dabei, @HappySchnitzel – aufgrund von Krankheit – leider nicht. Es war trotzdem schön, mit der alten Band wieder aufzutreten und ein paar alte Hits haben wir auch gespielt.

Das Video findet ihr hier.

Passend zum Motto „too long, didn’t read“ lesen Tina Pickhardt, Sue Reindke, Michael Seemann, Dirk Baranek, Björn Grau und einige bisher geheime „Influencer“ wieder Tweets vor. Geeignet für alle, die zu faul zum Selbstlesen sind oder in einer großen Gruppe nachdenken, lachen und weinen wollen; hier ist für alle was dabei.