Schirrmacher – ein sehr persönlicher Nachruf

Es sind nur wenige Tode denkbar, die einen größeren Einschlag auf mich und den Dingen mit denen ich mich beschäftige, haben könnten, als der von Frank Schirrmacher.

Die Nachricht seines Todes erreicht mich mitten in einem Buchprojekt, das es ohne ihn nicht gäbe. Und das in zweifacher Hinsicht.

Zunächst basiert das Buch auf meinem Blog ctrl-verlust, dass ich 2009 auf Schirrmachers Initiative hin für die FAZ entwickelte. Es war von Anfang an auch eine Auseinandersetzung mit seinen Thesen aus „Payback“, seinem ersten Buch über das Internet und die Digitalisierung.

Zum Anderen war das Blog auch nach dem Bruch mit der FAZ und meinem Streit mit ihm getrieben von der Debatte, die er zusammen mit seinem Feuilleton unnachgiebig nach vorn peitschte.

Es ist eine Sache, zu wissen, dass jemand unrecht hat, eine andere ist es, das auch erklären zu können. Das Resultat ist meine Arbeit der letzten 4 Jahre. Schirrmacher war für mein Schaffen der produktive Unruhepol, der Taktgeber und der Endgegner, an dem man wächst.

Über sein letztes Buch, Ego, habe ich mich sehr geärgert und habe eine ausführliche und unerbittliche Rezension verfasst. Auch die Entwicklung des FAZ Feuilletons nahm ich ihm mehr und mehr übel. Ein „Ludditenkampfblatt“, wie ich es mal nannte. Zuletzt warf ich ihm vor, die NSA-Affäire aus reinem Eigennutz zur Anti-Google-Kampagne umzufunktionieren.

Ich habe nichts davon zurückzunehmen. In der Debatte waren wir Gegner und ich finde bis heute, dass er in vielem unrecht hatte, dass er einiges bis zu letzt nicht verstanden und so manches schlampig recherchiert hat.

Nein, es ist etwas anderes, was ich bereue.

Die letzte Mail von ihm erhielt ich im Juli 2011, über ein Jahr nach unserem Streit. Es war eine Reaktion auf diesen Artikel hier, bei dem es ironischer Weise unter anderem auch um den Tod ging. Er schrieb, dass er meine Gedanken interessant fand. Mehr nicht. Einer seiner berüchtigten Einzeiler. Ich bedankte mich und schrieb zurück, dass ich gerne mal wieder mit ihm gesprochen hätte, es aber zu seinem letzten Auftritt in Berlin nicht geschafft habe. Darauf bekam ich keine Antwort.

Aber das hätte ich wirklich. Ich hätte wirklich gerne noch einmal mit ihm geredet und dann hätte ich mich bei ihm entschuldigt. Wenn ich mir die Mails von unserem Streit von 2010 noch mal anschaue, erschrecke ich vor mir selbst. Ich war furchtbar aggressiv zu ihm und zwar völlig zu unrecht. Ich war ja eigentlich im Streit mit der FAZ-Redaktion – Schirrmacher hatte sich nur schlichtend eingeschaltet, versuchte mir gut zuzureden – und hat es dann voll abbekommen. Das tut mir leid, das war nicht fair von mir. Das hätte ich ihm gerne noch gesagt. Jetzt ist es zu spät dafür und ich mache mir deswegen ein wenig Vorwürfe.

Schirrmacher war so zentral für mein Leben, dass ich gar nicht so richtig weiß, wie es mit mir jetzt weitergehen soll. Er war der Taktgeber der Debatte, die mein Zuhause geworden ist. Er war die Initialzündung zu dem, was ich heute bin. Ich weiß aus verschiedenen Quellen, dass er ein sehr genaues Auge darauf hatte, was ich tat. Ich hoffte auch beim Schreiben meines Buches auf seine Leserschaft und es bringt mich ziemlich aus dem Tritt zu wissen, dass er es niemals lesen wird.

Allzu sentimental werden steht mir aber nicht zu. Schirrmacher und ich waren keine Freunde. Aber ich weiß auch, dass er mich bis zuletzt mochte und das ging mir umgekehrt ebenso. Obwohl wir uns inhaltlich immer weiter auseinander entwickelten, hielt ich sehr viel von ihm. (Ich war meist weniger sauer auf ihn, sondern eher darauf, dass er damit durchkam.)

Ich kann den vielen Nachrufen nur zustimmen: Es hatte etwas ungeheuer inspirierendes mit ihm zu diskutieren. Ich hatte immer großen Respekt vor seiner Intelligenz und Sympathie für viele seiner Thesen und Texte. Wenn es drauf ankam, stand er meist auf der richtigen Seite: beim Historikerstreit, bei der Walser/Bubis-Debatte, bei Günther Grass. Was für ein großartiger Text über Grass‘ strunzdummes Gedicht!

Ich bin sehr traurig über seinen plötzlichen Tod. Es ist ein großer Verlust. Ohne ihn wird alles langweiliger.

[Ansonsten kann ich vielem zustimmen, was Christoph Kappes über ihn schreibt.]

Happy Snowden Euch allen!

Ein Jahr Snowden. Und die Stimmung ist so lala. Das muss nicht sein. Sie könnte richtig mies sein. So wie meine. Vielleicht kommt das ja noch, wenn ihr meine zwei Beiträge dazu lest:

Ich wurde von Collaboratory zu meiner Einschätzung gefragt, was sich seit diesem Snowdenjahr verändert hat:

Das Jahr nach Snowden war vor allem eine große Desillusionierung. Der Staat und die ihn steuernde institutionalisierte Politik wurden als schlechte Inszenierungen hilfloser Zyniker entlarft. Ich hatte nie mit viel gerechnet, aber so brachial hätte ich mir den Offenbarungseid der Politik nicht vorgestellt.

Wir müssen heute erkennen: Bürger- und Freiheitsrechte waren nie das Papier wert, auf dem sie gedruckt sind. Das ganze Gerede vom staatlichen Datenschutz kann im Nachhinein nur noch als Witz verstanden werden. Ich kann die Politik nicht mehr ernst nehmen und wenn doch, dann nur als Gefahr. Der BND sieht das alles als Machbarkeitsstudie und die Regierung will immer noch ihre Vorratsdatenspeicherung. Sie sind Adressat für alle, die jetzt mithilfe der Snowdenleaks ihre Interessen gegen das Internet durchsetzen wollen, aber in den Entscheidenden Fragen: Zähmung und Transparenz der Geheimdienste, Asyl für Edward Snowden, Aufklärung der NSA-GCHQ-BND-Aktivitäten – gibt es nur Totalausfall.

Ansonsten tut man, was man kann: Ich habe verschiedene verschlüsselte Kanäle eingerichtet und betrachte das in Zeiten wie diesen, als einen Akt der Gastfreundschaft. Auch wenn ich weiß, dass es nicht viel hilft. Wir können nur alle hoffen, dass die Geheimdienste ihre Macht nicht eines Tages im großen Maßstab ausnutzen.

Und dann wollte Politik-Digital noch wissen, wie wir wohl in 10 Jahren auf diese ganze Snowdensache blicken werden:

2001 kam heraus, dass die NSA alle Telefonate und Datenverbindungen zumindest in Europa abhört. Das damalige Programm, das enthüllt wurde, hieß Echolon. Die EU-Kommision strengte eine Untersuchung an. Der Skandal wurde aber bald vom 11. September überschattet. Menschen vergessen schnell.

Wenn ich mich also frage, was in zehn Jahren von den Snowden-Enthüllungen übrig geblieben sein wird, bin ich skeptisch. Vermutlich ein paar nette Filme von Oliver Stone und Sony Pictures (die Filmrechte wurden gerade verkauft). Ansonsten wird sich die Überwachungsintensität auch die nächsten zehn Jahre vor allem an Moores Law orientieren, also eine Verdopplung alle zwei Jahre. Fünf Verdoppelungen sind eine Menge, das merkt man auch an der Relation zwischen Echolon und den Snowden-Enthüllungen. Da geht noch einiges: Immer mehr Lebensbereiche wandern ins Internet: Unsere Haushalte, der Straßenverkehr, Energieversorgung, Kommunikation wird immer unmittelbarer. Vielleicht scannen sie in zehn Jahren schon unsere Hirne, wer weiß. Es würde mich nicht wundern, wenn wir 2023 erneut aus allen Wolken fallen, wenn wieder eine neue Geheimdienst-Enthüllung ans Tageslicht kommt.

Auf ein weiteres, erfolgreiches Snowdenjahr!