rp13: Why we fight (each other)

Passend zum aktuellen WMR verblogge ich mal meinen abgelehnten re:publica 13 Talk. Einerseits, weil es eine Blogparade dazu gibt, andererseits, weil morgen wieder Sonntag ist und ich sonst 5 Euro in den Ironbloggertopf werfen müsste:

Why we fight (each other)

Insbesondere seit letztem Jahr fällt auf: Aus den Shitstorms gegen Nestlé, Zensursula oder Jack Wolfskin ist endgültig ein dauerwährender Shitstorm der Internetszene gegen sich selbst geworden. Egal ob FeministInnen, PiratInnen, FlauschistInnen oder KlotürlobbyisInnen und auch ganz egal wie gering der Anlass ist: ein einziges Gezanke, Gezeter und Gepöbel durchzieht das Netz.

Doch woran liegt das? Ist es, weil das Netz kein Außerhalb mehr kennt? Ist es die Kommunikationsstruktur auf Twitter? Oder ist es vielleicht ein viel tieferliegender, grundsätzlicher Bruch, der sich durch das Internet und dessen exzessive Nutzung ereignet hat? Strebt die Gesellschaft nun ihrem Hitzetod durch Reibungswärme entgegen?

Ich habe im Laufe des letzten Jahres einige Theorien dazu gehört und mir auch ein paar eigene Gedanken dazu gemacht, die ich gerne vorstellen würde. Als Bonus gibt es noch einige Ideen und Strategien, wie man den Konfliktallbrand zumindest eingrenzen kann.

Ich habe vergessen wo vorn ist

Es ist irgendwie lustig, dass die vor kurzem aufflammende Diskussion um „Zensur“ auf Facebook (zb. Herr Urbach, Antje Schrupp), auf eine gewisse Art zurückschlägt. Und zwar in der Folgedebatte um das Leistungsschutzrechtsdebakel.

Sascha Lobo hat nämlich recht. Wir – also die aktiven Gegner des Leistungsschutzrechtes – sahen ziemlich scheiße aus. Wir schäumten und schrieben und tobten – doch schon einen Meter weiter war das nur noch als leises Zischen zu hören, wie eine Brausetablette im Wasserglas.

Dabei sprangen wir Anfang 2012 doch noch so formvollendet mit Hunderttausenden über den ACTA-Hai! Wir stoppten ein ausgewachsenes internationales fucking Handelsabkommen!

Blöderweise waren das aber gar nicht wir. Das waren die Kids, die Youtubegeneration. Wir – die netzpolitisch Dauerbewegten – waren da eher eine Randerscheinung. Klar, die „Digitale Gesellschaft“ ein Bündnis aus Piraten, Anons, Digiges und Hedonisten hat das ganze organisatorisch gewuppt. Aber mobilisiert haben andere.

Sascha beklagt, dass es in Sachen Leistungsschutzrecht nicht gelungen sei, diese jungen Leute abzuholen. Es gibt keine Vernetzung zu den Videobloggern, deren Reichweite alles in den Schatten stellt, was in Blogs und auf Twitter so zu finden ist. Insgesamt ist es nicht gelungen das Problem mit dem Leistungsschutzrecht meiner Mutter, meinem Vater – niemandem außerhalb unserer kleinen Filterbubble verständlich zu machen.

Während der ACTA-Proteste habe ich ein Experiment gemacht. Ich habe einen Artikel geschrieben über ACTA, der sich nicht an „uns“ richtet, sondern an alle anderen. Ich stellte den Text auf Facebook und verbloggte ihn hier und er fand rasenden Absatz zusammen fast 2000 Likes und 500 Tweets vereinte er auf sich, wurde massenhaft kopiert und sogar auf Flugblätter gedruckt.

Ich würde heute sagen, dass das Experiment ein Erfolg war, obwohl da sicher noch viel mehr gegangen wäre. Wenigstens gelang es mal einen Text außerhalb unserer Filterblase zu platzieren. Das ist selten. Aber auf Facebook gibt es Pages mit vielen Millionen Abonnenten, auch in deutscher Sprache. Youtube, Facebook, Tumbler. Ob wir es wollen oder nicht: Dort findet die Öffentlichkeit statt. Wenn man unsere größten Blogs – Netzpolitik, Fefe, Hastenichtgesehen – daneben stellt, befindet sich unsere Relevanz im gerade noch messbaren Bereich. Wenn Spiegel Online mal gerade nicht über uns berichtet, sind wir Scheinriesen, deren Wirken praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet.

Die digitale Welt dreht sich schnell und während wir diese Aussage immer dann für eine Binse halten, wenn wir sie auf die „die Anderen (TM)“ anwenden (Verlage und Kulturindustrie), merken wir nicht, wie wir selbst den Schuss nicht gehört haben. Wir predigen Blogs auf selbstgehosteten Webspaces laufen zu lassen, weil das eine gute Idee war, als wir 2005 das Netz für uns entdeckten. Wir merken gar nicht, wie wir Christoph Keese immer ähnlicher werden, wenn wir voller Entrüstung einen Bestandsschutz für den Google Reader fordern, als ob die Zukunft der Demokratie daran hinge.

Es wird Zeit, dass wir mal unsere eigene Narrativ-Mottenkiste entrümpeln. Und dazu gehört nun mal auch, Technologien zum Abschuss frei zu geben, die sich nicht durchgesetzt haben. Der Schritt zurück war noch nie einer in die Zukunft und ich sehe nicht, warum sich das ausgerechnet im Web geändert haben sollte.

Und dazu gehört auch Twitter. Auch wenn wir die ersten dort waren und dort immer noch eine gemütliche Nische bewohnen, ist Twitter nicht das, was wir glauben, was es ist. Twitter ist keine Brüllstube für Piraten oder Diskussionsplattform für Nerdbesserwissereien. Auf Twitter werden auch keine Links geshared oder News konsumiert. Auf Twitter ist man entweder Rockstar oder Fan. Die einen sagen „pups“ die anderen schreien virtuell die Bude voll. Das ist Twitter und alles andere – also wir – sind dort kaum wahrnehmbare Randphänomene. Wen interessieren da bitte fucking API-Zugriffsbeschränkungen?

„Netzgemeinde“ ist auch deswegen der richtige Begriff für uns, weil es das provinzielle und selbstbezogene dieser unserer Filterblase zum Ausdruck bringt. Wir sind ein kleines, verschlafenes Bergdorf, das nicht mal mitbekommen hat, dass die Dampfmaschine längst erfunden wurde.

Having rant that …

langweilt mich jeder, der in die „Zurück zur eigenen Infrastruktur“-Tröte pustet genau so, wie die Leute, die behaupten, dass die Facebook-Zensur keine solche sei, weil dafür irgendwo das Wort „Staat“ vorkommen muss. Facebook ist die derzeit wichtigste digitale Öffentlichkeit und deswegen ist es eben doch ein Eingriff in die Meinungsfreiheit, wenn Facebook bestimmen darf, was gesagt werden darf und was nicht.

Was tun? Ich sehe 4 Alternativen, mit diesem Zustand umzugehen:

1. Man glaubt weiterhin, dass sich Blogs/RSS/Atom dereinst durchsetzen werden. Man wirbt dafür, dass die Leute sich eigenen Webspace mieten, um mit ihrer WordPress-Installation ihre Inhalte selber zu kontrollieren.

Einwand: Ja nee, is klar. (siehe oben)

2. Man ignoriert die Menschenmassen auf Facebook und anderen geschlossenen Diensten und ist sich einfach selbst genug. „Wenn die anderen zu doof sind, das freie Web zu schätzen, ist das ja nicht mein Problem!“

Einwand: Verbitterung als verschrobene Tech-Elite und das Versinken in der politischen Bedeutungslosigkeit sind quasi vorprogrammiert. (Auch „Fefeisierung“ genannt.)

3. Man gibt den Kampf auf, kündigt seinen Webspace und bloggt einfach auf Facebook weiter. Freies Web, schmeies Schweb. War vielleicht doch alles ne doofe Utopie, die keiner braucht?

Einwand: Die Machtkonzentration der Konzerne über die öffentliche Meinungsbildung könnte schon bald unangenehme Ausmaße annehmen.

4. Man kämpft auf Facebook für Plattformneutralität. Wenn Facebook eine nicht offene, aber extrem populäre Inftrastruktur ist, dann machen wir sie eben zur offenen, populären Infrastruktur. Wir lobbyieren bei Facebook für die Öffnung der Plattform für Standards, etc. und kämpfen für Meinungsfreiheit und demokratische Prozesse.

Einwand: Hat ja schon bei Twitter und Google so super geklappt. NOT!

Fazit

Ganz ehrlich, ich bin derzeit etwas ratlos. Mir gefällt keine der aufgezeigten Alternativen. Ich würde gerne vorankommen, aber ich weiß nicht mehr wo das ist. Ich will nicht der schimpfende Alte sein, der seine Tech-Vision von vor 8 Jahren verteidigt. Ich will aber auch nicht der sein, der den Gedanken an das freie Web aufgibt. Ich würde auch kämpfen, aber wenn, dann nur nach vorn. Aber wo ist vorn? App.net? Ich weiß ja nicht.

Relaunch – kind of

Es war mal wieder Zeit für etwas Veränderung. Ich habe einfach das alte Standard-Theme mit dem neuen Standard-Theme (Twenty Eleven) ausgetauscht, ein Bild oben reingetan und schon sieht das alles viel schnuckeliger aus. Dadurch habe ich jetzt eine Menubar, die die Navigation doch sehr erleichtert. Was mir dann wiederum ermöglichte mal die ziemlich unübersichtlich gewordene Sidebar zu entrümpeln.

Der eigentliche Höhepunkt: Neben den bekannten Links zu meinem Twitterarchiv, „Wo ist mspro?“ und dem Impressum, gibt es nun noch eine neue Seite: Über mich.

Man muss sich das mal vorstellen: Leute (z.B. Journalisten!) beschwerten sich bei mir, dass es so schwer sei, Dinge über mich herauszufinden. Über mich! Dem Post-Privacy-Spacko vor dem Herrn!

Aber klar, es ist natürlich so, dass sich das Bild auch zerfasert, je mehr Daten man in’s Netz kippt. Und in der Tat gibt es eigentlich keine gute Anlaufstelle, wenn man sich mal allgemein über meine Person erkundigen will. (I’m looking at you, Wikipedia!)

Muss ich es also selbst tun. Ich hab hier mal alles versammelt, was Leute, die mein Schaffen eben nicht von Anfang an verfolgt haben, interessieren könnte. Leser, Hörer, Journalisten – und klar: auch Kunden. Denn davon kann man ja bekanntlich nie genug haben.

Feedback gerne hier in die Kommentare.

Im publizistischen Würgegriff

Am Freitag verabschiedete der Bundestag das Leistungsschutzrecht für Presseverleger. Ein Recht, das es allein aufgrund der Lobbyanstrengungen der Zeitungsverlage zuerst in den Koalitionsvertrag und jetzt in den Gesetzgebungsprozess geschafft hat. Die Zeitungsverlage haben damit klar gemacht, was für eine Macht sie immer noch über die Politik haben, die von wohlwollender Berichterstattung abhängiger ist, als von der Sinnhaftigkeit ihres eigenen Handelns.

Die Machtdemonstration, die die Verlage abgeliefert haben ist beängstigend und es vermutlich auch kein Zufall, dass kaum ein prominenter Spitzenpolitiker der Oppositionsparteien sich traute, an der Abstimmung teil zu nehmen. Nichts kann man vor einer anstehenden Bundestagswahl schließlich weniger gebrauchen, als eine Presselandschaft, die dem Wahlkampfpersonal nicht wohl gesonnen ist.

Dabei wird ein systemimmanentes Problem augenscheinlich. Was passiert eigentlich mit unserem politischen System, wenn es dort mal um die ureigensten Interessen der „unabhängigen“ Presse geht? Wer kontrolliert eigentlich die vierte Macht im Staate? Die Antwort ist erschütternd. Während beinahe alle Verbände, Aktivisten, Experten und Wissenschaftler kein gutes Haar an den Gesetzesentwürfen zum Leistungsschutzrecht ließen, ignorierte die Presse diese Stimmen eisern und hörte nicht auf, das Gegenteil zu verkünden. Und noch schlimmer als das journalistische Totalversagen: es gab nur wenige Politiker, die sich trauten, dieser interessengeleiteten Kampagne öffentlich zu widersprechen.

So dreist und effektiv dieser Mechanismus beim Leistungsschutzrecht auch gewirkt hat, er ist keinesfalls ohne Beispiel. Bei genauerer Betrachtung findet man viele Auswüchse dieser strukturellen Schwäche unseres Systems.

Wie kann es sein, dass wir über das Sterben von Verlagen jammern, die Zukunft des journalistischen Berufes bezweifeln und Leistungsschutzrechte für Presseverlage einführen, während wir letztes Jahr 7,5 Milliarden Euro in überflüssige analoge Sendestationen, Fußballlizenzen und das Musikantenstadl versenkten? Zum Vergleich: Man könnte mit diesem Geld jedem der 85.000 in Deutschland tätigen Journalisten 88.000 Euro in die Hand drücken. Dieses Jahr sogar noch mal sehr viel mehr. (Und das ist nicht nur eine rhetorische Rechnung. Ich bin überzeugt, dass bei dieser Verwendung wesentlich mehr unabhängiger Qualitätsjournalismus herausfallen würde, als bei der derzeitigen Verwendung.)

Es gibt keine andere Beizeichnung für das, was hier vor unser aller Augen passiert als „kompletter Wahnsinn“. Aber dieser Wahnsinn wird aus dem selben Grund kein politisches Thema werden, der schon den Verlagen ihr Leistungsschutzrecht gesichert hat: Kein Politiker kann es sich leisten von den öffentlich rechtlichen Medienhäusern als Feind wahrgenommen zu werden. Wer die Tagesschau gegen sich hat, wer nicht zu den Talkrunden eingeladen wird, wen die politischen Magazine von ARD und ZDF empfindlich angehen, der kann im politischen Deutschland keine Stimmen mehr gewinnen.

Die Abhängigkeit der Politiker vom Journalismus und die Ruchlosigkeit des Journalismus in eigener Sache sind nichts grundsätzlich neues. Es fällt aber heute anders ins Gewicht, weil der Medienwandel durch das Internet die Sache der Verlage und Anstalten immer neu auf den Verhandlungstisch der Politik spült. Und jedes Mal, wenn sich unsere publizistischen Institutionen um Maßnahmen gegen den Strukturwandel durch die Digitalisierung bemühen, wird diese Macht gegenüber den Politikern dreister ausgespielt und die Öffentlichkeit für ihre Zwecke eingespannt.

Was passiert, wenn sich Verlage und öffentlich Rechtliche einig werden, sah man 2009, als der 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag beschlossen wurde. Um den Verlagen weniger Konkurrenz zu machen, müssen die öffentlich Rechtlichen ihre gebührenfinanzierten Inhalte nach 7 Tagen wieder aus dem Netz nehmen. Wenn sich die Medien einig sind, dann traut sich kein Politiker dagegen was zu sagen. Verlieren tun wir, die Verbraucher. Doch niemand ist da, das öffentlich anzuprangern.

Verloren haben auch die Verbraucher bei den Novellen des Urheberrechts. Der zweite Korb von 2007 beinhaltete ein faktisches Verbot der Privatkopie. Diese kann nur noch angefertigt werden, wenn man sich dabei nicht über den Willen der Verlage hinwegsetzt. Die Massenabmahnungen und die Kriminalisierung der Verbraucher ist ebenfalls ein Ergebnis des Lobbyismus des Contentindustrie und der durch sie unter Druck gesetzten Politiker.

ACTA, das internationale Abkommen, das von Urheberrechtslobbyisten weltweit durch die Parlamente gepeitscht werden sollte, wurde nur knapp verhindert. Auch hier musste erst im Netz eine eindrückliche Gegenöffentlichkeit zu den Verlagen geschaffen werden, um politisch etwas zu bewirken. Verlage, die von alleine kritisch über Urheberrechtsverschärfungen berichten? No Way.

Institutionen werden alles dafür tun, die Probleme, für die sie geschaffen wurden, zu erhalten„, so eine Erkenntnis des amerikanischen Medienwissenschaftlers Clay Shirky. Zu diesem Zweck haben in der westlichen Welt die starken Institutionen der Massenmedien die Politik – und so die ganze Gesellschaft – für ihre Zwecke in Geiselhaft genommen. Die Knappheit von Information muss gewährleistet bleiben, koste es, was es wolle.

Es wird Zeit, dass wir ernsthaft darüber nachdenken, was für einen Journalismus wir für die Zukunft brauchen. Und wie wir 10 Milliarden Euro dafür sinnvoll einsetzen könnten. Wie wir Verbraucherrechte wieder stärken können und dabei einen möglichst freien Fluss von Informationen gewährleisten können. Und nicht zuletzt: Wie wir das Urheberrecht an die Möglichkeiten von heute anpassen können. Das alles ist nämlich keinesfalls unmöglich. Nur eines ist klar: wir werden es gegen den Willen der derzeitigen Herrscher über die Öffentlichkeit durchsetzen müssen. Gegen die Verlage, gegen die Öffentlich Rechtlichen, gegen die Rechteindustrie.

Die Frage ist nicht, ob wir uns guten Journalismus leisten können. Die Antwort wäre: wir können ihn 180-fach überfinanzieren, ohne zusätzlichen Kosten. Schon mit einem einzigen Prozent der Gebührengelder könnte in der heutigen Zeit eine Qualitätsrevolution im Journalismus passieren, deren Ergebnisse im Internet für alle zugänglich sein könnten. Wir brauchen nur Politiker, die sich trauen, gegen das Jammerkartell der Verlage und Anstalten die richtigen Weichen zu stellen.