Vortragsankündigung

Bevor es im allgemeinen Weihnachtsrummel untergeht (oh, schon untergegangen?), noch schnell ein Hinweis in eigener Sache:

Mein abgelehnter Vortrag für den 27c3 halte ich nun in einer Parallelveranstaltung, die die „Rejected Talks“ des Kongresses abfeiert. Classless Kulla hat das letztes Jahr bereits grandios organisiert (dort waren einige Highlights) und auch dieses Jahr findet es in der C-Base statt.

Ich werde also am 28. Dezember um 18:00 in der C-Base einen Vortrag halten. Um ganz ehrlich zu sein: der Stoff hat sich seit der Einreichung kräftig entwickelt und wird wohl gehörig vom Ankündigungstext und -Titel abweichen. Aber – so hoffe ich – im positiven Sinne.

Ihr seid also alle eingeladen, euch den Termin in die Kalender einzutragen.

Uterusneutralität?

Heute mal etwas ganz anderes. Wobei irgendwie auch nicht. Mal sehen.

Also da haben wir gerade einen Streit – mal wieder – über Präimplantationsdiagnostik. Und ich muss sagen, ich bin da hin und -hergerissen.

Da wäre erstmal der Streit, wie er im Mainstream ausgetragen wird: hier die Ökoleute in merkwürdiger Koalition mit den CDU-Fundi-Christen gegen SPD und Liberale. Und natürlich hat Weissgarnix nicht unrecht, wenn er hier eine verlogene Debatte ausfindig macht. Natürlich ist die Grenze willkürlich/religiös fundiert, wo man von Leben/Mensch und die ganzen Implikationen wie „Würde“ herleiten kann. Dann kann man auch Abtreibungen verbieten, etc.

Andererseits dieser Tweet von @pantoffelpunk:

[Link]

Anderseits der Film GATTACA:

Es stellt sich – um mal von der unfruchtbaren (kchkchkhch) Debatte um „Ethik“ und „Moral“ wegzukommen – die Frage, wie hier „private“ Interessen, denen einer „Gesellschaft“ entgegenstehen. Eine politische Frage also. Denn machen wir uns nichts vor: wenn wir uns fragen, in was für einer Gesellschaft wir leben wollen, kommen wir um die Frage: „wer regelt die Geburt?“ nicht herum. Denn geregelt wird sie so oder so.

Die vollkommen privatistische Antwort: Die Eltern regeln die Geburt. „Mein Bauch gehört mir“ gilt ja immer noch und zwar als progressiver Slogan. Aber: dann wird das GATTACA-Szenario mit sehr großer Wahrscheinlichkeit wahr werden. Denn mehr noch als „das Beste für ihr Kind„, wollen Eltern „das beste Kind„. Das bestmögliche, das genetisch irgendwie machbar ist.

Und deswegen wird die PID eben nicht bei schlimmen Krankheiten stehenbleiben, sondern langfristig auch bei der Ausbesserung von Unzulänglichkeiten nicht halt machen. Ein Casting aus mehreren 100 befruchteten Eizellen wird irgendwann Standard werden und welche Eltern werden dann nicht „unten rechts“ bestellen? (Für Nicht-Appleuser: das ist in der Produkttabelle immer die Maxiamalausstattung)

Ein PID-Wettrüsten wäre die Folge. Die Züchtung des Supermenschen. Vermutlich – jedenfalls zunächst – auch mit ungleichen Mitteln. Vor allem die Anzahl der Befurchtungsvariationen wird entsprechend der Geldbörse der Eltern eine Begrenzung erfahren. „Das perfekte Kind“ wird man aber mit höherer Wahrscheinlichkeit eher unter 1000, als unter 100 befruchteten Eizellen finden.

Dagegengehalten wird mit: dann lassen wir die Selektion eben ganz. Wir verbieten PID und überlassen alles, dem Zufall/Gott etc. Aber auch dieses Szenario ist relativ unrealistisch in einer globalisierten Welt. Dann geht man eben in’s Nachbarland, wie übrigens jetzt schon. Außerdem lässt sich sehr wohl auch argumentieren, dass ein Leben, dass keine Überlebenschance hat, nur unnötige Quälerei ist. Sind wir nicht auch in der Pflicht zu regulieren, wo wir es können?

Es bleibt also nichts anderes, als sich mit der PID zu arrangieren. Und dann sollte man zunächst auf den Tisch legen, wo genau die Probleme damit liegen.

Mein Unwohlsein liegt eindeutig an der Entscheidungsmacht, die da aus dem Himmel fällt. Darf es eine solche Instanz geben, die sagt, dieses ist „wertes“, jenes ist „unwertes“ Leben? Es ist mir unangenehm, wenn dritte über Leben oder Nichtleben von anderen entscheiden – auch weil diese anderen dann in der Gesamtheit die Gesellschaft stellen werden, das sollte man nicht vergessen.

Mit scheint, wir haben es hier mit einem Plattformneutralitätsproblem zu tun. Betrachtet man den Uterus als Gebärinfrastruktur, die in privater Hand liegt, dann hat man das Problem, dass das, worauf Gesellschaft beruht – nämlich seine biologischen Individuen – durch die PID gescannt und nach Gutdünken der privaten Betreiber der Infrastruktur reguliert werden. Die Präimplantationsdiagnostik ist die Deep Packet Inspection des Genpools.

Braucht es also eine Uterusneutraität, die – ähnlich wie die Netzneutralität – genau regelt, wie viel in welchen Grenzen überhaupt privat reguliert werden darf? Ähnlich wie bei der Netzneutralität kann es nicht darum gehen, den privaten Betreibern zu verbieten, ihre Infrastruktur durch Regulierung am Laufen zu halten, sondern sie muss dieser Regulierung enge Grenzen zu setzen. Man könnte die PID beispielsweise nur auf streng eingegrenzte gesundheitliche Beeinträchtigungen beziehen und jede Erweiterung unter politische Abwägung stellen. Ich glaube auch, dass genau das gerade diskutiert wird.

Mein Punkt ist einfach, dass man die PID und damit die Geburtenkontrolle sehr wohl als politisches Problem betrachten sollte. Es darf in dieser Hinsicht keinen Freifahrtsschein der Eltern geben. Die Frage: „in welcher Gesellschaft wollen wir leben?“ ist eine politische Frage, die die PID zuungunsten der Gesellschaft in die Hände Einzelner legt. Um das zu erkennen braucht man aber keine „Ethik“ und schon gar keinen Gott.

Anonymous – Person des Jahres 2011

Jetzt, da nicht Julian Assange, wie es die Voter wollten, sondern Mark Zuckerberg den Olymp der Person des Jahres erklommen hat und es sich nun mit Stalin und Hitler in einer Reihe bequem machen kann, ist es doch mal Zeit, sich zu überlegen, was wer denn nächstes Jahr so auf uns zukommen könnte.

Da wäre natürlich der Kontrollverlust, da wäre weiterhin Assange, wenn sie den nicht vorher noch irgendwie „auf der Flucht“/“in Notwehr“/“ein anonymer Wahnsinnger war’s“ … ähhm, verlieren. Und da wäre überhaupt Wikileaks, die sicher noch mit dem einen oder anderen Knüller, die eine oder andere Weltmacht brüskieren werden und dann wäre natürlich auch der sich aufbauschende Krieg dagegen, der sinnlos sein wird, denn da wären ja noch all die Wikileaksnachfolger, die da schon in Arbeit sind.

Aber.

Ich glaube, das wirklich krasse Phänomen für 2011 wird Anonymous sein. Dieser kleine Pansenverein aus der 4Chan-Vorstadt, diese erlebnisorientierten Jugendlichen, die zum Krawallmachen anreisen, werden 2011 zu einer – nein – zu DER Jugenduntergrundorganisation, die Geschichte machen wird. Der Schwarze Block mit den Mitteln des Internets. Unbegrenzt, weltweit, unaufhaltsam und unfassbar.

Und obwohl es ihn schon lange gibt, ist er erst jetzt so richtig populär geworden. Seine Reihen werden in diesen Momenten mit immer neuen Kids – aber auch Erwachsenen – gefüllt werden. Der Kampf um Wikileaks ist ein wahnsinniger Katalysator.

Im Gegensatz zu Wikileaks ist Anonymous nicht angreifbar. Jeder kann Teil davon sein. Und man kann tun, was man will. Als anonymes Kollektiv ohne Führungsstruktur ist es die völlige Anarchie, die komplette Freiheit, der ungebändigste Individualismus jenseits der Identität. Es braucht kein richtiges Engagement, kein Bekenntnis zu irgendwas, kein Aufnahmeritual, keine Sympathie mit irgendwem, keinen einzigen graden politischen Gedanken und kaum persönliches Risiko. Alles was man braucht, ist ein bisschen Frust im Bauch. Alles was man braucht, ist ein wenig Nihilismus. Alles was man braucht, ist der Wille, es „denen“ mal so ordentlich zu zeigen. Und das wird man.

Anonymous wird über uns herfallen, 2011. Er wird über die Regierungen und über Banken herfallen und wir werden innerlich klatschen. Aber Anonymous ist nicht zu stoppen, nicht zu kontrollieren und er wird irrational, ungerecht und gefährlich für jeden werden. Wer 4Chan kennt, weiß, was ich meine. Anonymous kennt keine Grenzen, wird keine Grenzen kennen, wo sollten die auch herkommen?

Die Frage ist nur: wie zerstörerisch können millionen Menschen an Rechnern werden, wenn sie sich koordinieren?

JMStV – Politik als Farce

Ich wette, es gibt keinen einzigen deutschen Landtagsabgeordneten in Deutschland, der für den Jugendschutzmedienstaatsvertrag gestimmt hat, der nicht wußte, was für ein unsagbarer Crap das ist. Im Gegensatz zu dem, was einige Politiker behaupten, ist der Aktionismus und die Aufklärungskampagnen gegen den Vertrag seitens des AK-Zensur nämlich nicht erst seit gestern im Gange.

Aber es war ihnen schlicht egal!

Das Ding sollte durch gewunken werden, weil … ja weil … weil man das halt so tut! Wie SPON schreibt:

„Denn mit deren Zustimmung galt der Vertrag eigentlich längst als verabschiedet, die Zustimmung der Länderparlamente ist bei solchen Gesetzeswerken in der Regel eine Formsache.“

Parlament? Reine Formsache.

So ist das eben. Als Politiker muss man auch „2 + 2 = 5“ vertreten können, wenn es gefordert ist. Und dann werden 100 Experten angehört, die alle sagen, dass 2 + 2 = 4 ist und die Mathematikergemeinde schreibt Brandbriefe noch und nöcher, dass 2 + 2 = 4 ist und als Politiker stellt man sich hin und sagt: „Nun ja, es gibt Zweifel, dass 2 + 2 = 5 ist, da herrscht Uneinigkeit. Und wir sind uns auch nicht mehr so sicher. Aber wir sind ja nun in einer Koalition und die parlamentarischen Zwänge, nun…

Aber es braucht nur einmal die Opposition (ausgerechnet die, die allgemein als besonders rechenschwach gilt) anzudrohen, öffentlich zu behaupten 2 + 2 sei 4 – und Zack! – dreht sich das gesamte Parlamentskarussel in die andere Richtung. Wie von der Hornisse gestochen springen sie jetzt alle auf „Stopp“. Schließlich wäre die Alternative gewesen, sich vom allgemein als Klassendepp anerkannten Nixkönner wegen offensichtlicher Doofheit auslachen lassen zu müssen. Und alle lachen mit.

Ja, so funktioniert Politik, liebe Leute. Ich habe das schon ausführlich bei der Zensursuladebatte beobachten können. Und natürlich rufen jetzt wieder einige: das ist halt so, lebt damit! Aber nein, sorry. Ich verliere jeglichen Respekt vor der repräsentativen Demokratie, je weiter ich mich mit ihr befasse. Das ist ein schleichender Delegitimationsprozess, der – da bin ich sicher – nicht nur mich ereilt. Und das geht weit über ein knurriges ungewaschenes „die da Oben„-Geseiere hinaus. Das hier entsteht aus echter – teils hautnaher – Erfahrung.

Es wird Zeit für neue Strukturen politischer Willensbildung. Die repräsentative Demokratie ist viel zu unterkomplex in der Prozessierung der Probleme und viel zu überkomplex in ihrem Machtapparat. Legitimation durch Verfahren (Luhmann), schön und gut. Aber was, wenn das Verfahren selbst längst die Legitimation verliert? Das ist doch niemandem mehr vermittelbar. Selbst dann nicht, wenn einem das Ergebnis zufällig mal in den Kram passt.

Politik aus Sicht eines Technikdeterministen

Es hat etwas gedauert, aber dann hatte ich ja und so und außerdem war ja alles wieder und…

Natürlich wollte ich über Wikileaks schreiben. Hab ich letzte Woche auch gemacht, ist aber gestern erst erschienen: bei Zeit.de so allgemein.

Und auf CTRL-Verlust über den Bezug zur Queryöffentlichkeit und warum das, was Wikileaks macht, heute nicht wirklich ein aufklärerisches Projekt sein kann.

Und dabei fällt mir ein, dass ich ein „fröhlicher Technikdeterminist“ bin. Ja, ich glaube, dass die Informationstechnologien unser Miteinander, unsere Institutionen, unser Weltbild und unsere politischen Handlungsräume maßgeblich bestimmen. Mehr dazu gleich.

Und dann war ich das Wochenende auf der Konferenz/Barcamp-Chose der SPD. Ich war bei den Grünen ja auch, so dachte ich mir, also der Fairness halber. Bei der SPD kenn ich bereits einige der netzpolitischen Akteure und kann nur sagen: ganz tolle, nette und ausgezeichnete Menschen. Auch kompetent. Wirklich. Keine Frage.

Aber diese Ideologie … Jedenfalls Björn Böhning – der hat auf dem Podium sinngemäß folgendes gesagt: Die Technik/das Internet müsse dem Menschen dienlich sein. Die Politik habe die Aufgabe dafür zu sorgen. Man müsse das Internet also „gestalten“. Alle klatschen. (Dazu sei gesagt: Björn war der glaubhafteste Kämpfer in der SPD gegen die Netzsperren und hat auch sonst immer durchdachte netzpolitische Positionen)

Klar, ist ja auch erstmal richtig. Politik ist dafür da, zu gestalten. Da kommt also sowas neues in’s Haus wie das Internet, dann muss man das jetzt wohl auch getalten. Der Politiker ist eben ein Gestalter und gestaltet alles, was ihm so in Finger kommt, denn alles andere würde ja seine Legitimität untergraben. Deswegen ist das auch nicht nur ein Problem der SPD, sondern man sieht es ebenso bei den Grünen und bei allen anderen. Es ist quasi eine Politikerkrankheit.

Das Internet aber ist erstmal etwas, dass jeden mit jedem kommunikativ vernetzen kann. (Hackr hat das sehr schön anhand der Systemtheorie erklärt). Das heißt also: Das Internet ist etwas, das (potentiell) ungefilterte, direkte Kommunikation aller Akteure untereinander ermöglicht. Mit anderen Worten: Es gibt keinen Gestaltungsspielraum, die Konnektivität des Internets zu erhöhen, aber viel Gestaltungsspielraum diesen einzuschränken. (Ich nehme hier mal bewusst den politischen Kampf für Netzneutralität heraus, weil es eher ein Kampf gegen die „Gestaltung“ des Internets durch gewisse wirtschaftlichen Akteure ist.)

Folgerichtig ist die Netzpolitik der letzten Jahre (und vermutlich auch in Zukunft) ein Kampf gegen Netzpolitik der etablierten Parteien. Denn deren „Gestaltungs“spielraum beläuft sich zum Großteil auf Regulierung und damit auf Einengung der Konnektivität.

Als Technikdeterminist lehne ich also größtenteils ab, das Internet politisch gestalten zu wollen. Ganz im Gegenteil! Ich sehe die Aufgabe der Politik der nächsten Jahre, sich vom Netz gestalten zu lassen!

Aber dafür muss ich meinen Technikdeterminismus anhand eines pseudowissenschaftlichen Historismus noch etwas erläutern:

Jede Handlung ist durch das Setting seiner kommunikationstechnischen Möglichkeiten begrenzt und somit ist es auch die mögliche politische Organisationsform von Menschen. Vor der Schrift war der Agora/der Markplatz der Ort der Politik und konnte sich bestenfalls auf Stadtstaaten beziehen. Mit der Schrift konnten immerhin dezentral Fürstentümer entstehen, die mithilfe des Briefverkehrs einander Schnittstellen boten. Mit dem Buchdruck – also den Massenmedien – wurde das erste Mal so etwas wie ein flächiges, regierbares Staatsgebiet möglich und mit der Alphabetisierung konnte man anfangen von der Demokratie zu träumen. Die repräsentative Demokratie ist somit die evolutionär bestmögliche Staatsform innerhalb der Beschränkungen der heutigen Massenmedien – also auch deren Endpunkt. Denn heute haben wir das Internet und einige merken bereits, wie sehr es nach einer neuen Organisationsform für das Politische schreit.

Ich weiß auch nicht, was uns das Internet für neue Organisationsformen noch bescheren wird. Liquid Democracy ist ein frühes Experiment und sicherlich nicht das letzte. Wir stehen hier selbstredend gerade erst am Anfang. Wichtig ist aber, zu verstehen, dass wir nicht das Internet an unsere Welt, sondern die Welt an das Internet anpassen müssen. Das wird den Politikern nicht passen, denn vermutlich werden sie – wie nach und nach alle institutionalisierten „Vermittler“ – durch das Internet wegrationalisiert werden.

Zum Zensurbegriff

Ich will jetzt gar nicht auf die haarsträubenden Verschwörungstheorien eingehen, die meinen, dass Twitter „Wikileaks“ und related Stuff absichtlich ais seinen Trending Topics raushält.

Interessanter ist die anschließende Diskussion mit Marcel Weiß um den Zensurbegriff. Er versuchte nämlich zunächst sich auf die altbekannte „Zensur kann nur staatlich sein„, zurückzuziehen. Das ist nicht nur ein unglaublich schwaches Argument (man kann Begriffe immer verengen und dehnen) – sondern ein falsches. Kein noch so eng gefasster Zensurbegriff setzt die Existenz eines Staates voraus.

Wenn man der Wikipedia glauben schenkt, dann ist Zensur politische Informationskontrolle.

Nun geistern „Zensur“-Vorwürfe immer wieder durch das Netz. Gerne auf Apple und Facebook bezogen. Döpfner höchstpersönlich wirft Apples iTunes Store Politik Zensur vor, was von vielen wehement von bestritten wird. Ich glaube, etwas vorschnell.

Nun mutet es in der Tat auf den ersten Blick etwas asymetrisch bis absurd an, eine staatliche Zensur wie in China mit der Auslese auf dem iTunesstore zu vergleichen.

Die Arguemtation von Marcel Weiß, der diesen Zusammenhang negiert sehen möchte, ist ja, dass man als User, als auch als Programmierer frei ist, eine Plattform jederzeit durch eine andere zu ersetzen. Er meint also, es sei durchaus zuzumuten, Einschränkungen in der Kommunikation mit vielen meiner Freunde und einem Großteil meines Social Graphs in Kauf zu nehmen, um auf einer anderen Plattform der vermeintlichen „Zensur“ entgehen zu können. Er meint auch, es sei zuzumuten auf den riesen Reibach, den ich als Programmierer auf der iOS-Plattform machen kann, zu verzichten. Die Möglichkeit einer anderen Plattform allein reicht, den Begriff „Zensur“ nicht anwenden zu können.

Man kann eben aber auch argumentieren, dass es auch ein zu schaffender Aufwand sei, die Landesgrenze (sofern ein Eingesperrtsein wie in der DDR nicht als Voraussetzung für Zensur gelten soll) zu überwinden, um an ungefilterte Informationen zu kommen. Das mag mehr Aufwand sein, als das Social Network zu wechseln, aber durchaus machbar. Und in Aachen ist es sicher leichter als in Hannover. Ist staatliche Zensur dann nur in Hannover Zensur, weil man in Aachen schnell in den Niederlanden sein kann? Oder ist es weniger Zensur?

Man sieht: es gibt lediglich einen qualitativen aber keinen strukturellen Unterschied zwischen der „Zensur“ bei Apple und der in Staatsgebieten.

Marcel Weiß sagt nun aber, dass man Dienste wie Facebook nicht mit einem Staat, sondern höchstens mit denen in ihm erscheinende Publikationen vergleichen könne. Dort herrsche auch eine willkürliche, teils auch politische Auswahl von Informationen, aber eben keine Zensur.

Hier braucht es den Begriff der Plattform. Eine Zeitung ist nun etwas anderes, als eine Kommunikationsinfrastruktur, die selber keine Inhalte hat, sondern nur für Inhalte offen steht. Der Staat hingegen ist durchaus eine allgemeine Kommunikationsinfrastruktur. Eine, die einen gewissen Raum eröffnet, in denen gesetzlich festgelegte Rahmenbedinungen für Kommunikation gelten, in denen sich andere dann austauschen können. Die Grenzen sind da aber durchaus fließend. Denn natürlich ist Facebook kein „öffentlicher Raum„, in dem Sinne, wie ihn der Staat bereit stellt.

Alles das was Marcel immer „zweiseitige Märkte“ nennt, kann man eben nicht mehr als einfachen Informationsprovider ansehen, sondern stellt selbst eine Plattform für Informationsprovider dar. Es ist eben kein Marktteilnehmer mehr, sondern selbst der Marktplatz. Und auch wenn es zu diesem Marktplatz andere, alternative, Wettbewerbermarktplätze gibt: innerhalb des eröffneten Marktplatzes gibt es eine Art Monopol – ein spezielles Monopol, dass ich mal „internes Monopol“ genannt habe. Und deswegen ist es völlig egal, ob es sich um Privatanbieter mit ausreichend Konkurrenzdruck handelt. Strukturell wird hier die Macht der Plattform auf die internen Marktteilnehmer ausgeübt, die diesen internen Markt nicht mehr frei sein lassen.

Dass die Leitungen, Peeringpoints und Backbones des Internet ebenfalls in privater Hand liegen, dürfte aber auch Marcel Weiß bekannt sein. Wie würde er es wohl nennen, wenn sich also die Provider entschließen, das Wort „Fuck“ oder gar „Wikileaks“ aus allen Kommunikationen herauszufiltern?

Das Problem der public-private Spaces ist ja durchaus nicht neu. Aber im Internet gewinnt es völlig neue Brisanz und eine ungekannte Allgegenwart. Das Internet pflanzt sich vertikal fort. Jeder Dienst kann Plattform sein: WWW basiert auf TCP/IP. Facebook auf dem WWW. Farmville auf Facebook. Und irgendwann werden die Hühner in Farmville vielleicht die Republik ausrufen. Alles kann zur Plattform werden, im Internet. Alles ist irgendwie eine Plattform, sobald sich Leute darauf anfangen auszutauschen und es als ihre Kommunikationsinfrastruktur benutzen.

Auch jedes Blog mit Kommentarfunktion ist streng genommen eine Kommunikationsplattform und damit „Zensurfähig“. Ja, auch dieses hier.

Man sollte also vielleicht die Furcht vor dem Begriff der „Zensur“ verlieren. Er war auch ursprünglich lange nicht so negativ – beinahe faschistisch – konnotiert, wie heute. Damals gab es offizielle „Zensurämter“ und „Zensurbeamte“ und das Zensieren war eine gesellschaftlich anerkannte und allgemein für notwendig erachtete Aufgabe des Staates. Wahrscheinlich vergleichbar mit der heutigen Sicht auf Moderation von Kommentaren und dem Communitymanagement – (die vielleicht auch dereinst ebenso anrüchig anmuten werden?)

Wenn ich Kommentare also lösche ist dann kann man das „Zensur“ nennen. Zensur, zu der man stehen können muss. (Ich hatte mir kürzlich einen Haustroll eingefangen, seitdem musste ich pragmatischer Weise auf Informationskontrolltools zurückgreifen, so weh es mir auch tat.)

Die „Zensur„, die ich in meinem Blog anwende ist sicherlich nicht so schlimm, wie die, die Facebook oder Apple ausübt. Die wiederum nicht so schlimm ist, wie die, die China ausübt – keine Frage. Das ist – wie oben gezeigt – alles eine Frage der Totalität der Plattform, d.h. des Aufwandes, den man treiben muss, die Plattform zu wechseln.

Aber man muss sich darüber im klaren sein, dass es zwischen all diesen Beispielen keine wesentlich strukturellen Unterschiede gibt. Was man da jetzt für Konseqenzen draus zieht ist eine andere Frage. Ich habe versucht mit der Plattformneutralität eine Antwort drauf zu finden. Aber die könnte gerne mal konkreter ausfallen.

Ich will lesen!

Ich lese kaum noch richtig Bücher, seitdem ich am Internet wie am Tropf hänge. Ich merke sehr deutlich, wie das Lesen im Internet meine Aufmerksamkeit und meine Art des Aufnehmens und Verstehens umkonfiguriert. Ich bin mir sicher, einige von euch kennen das. Konzentrationsschnappatmung. Aber gleichzeitig volle Konnektivität. Man kann sofort nachfragen, Kommentar zu schreiben, verbloggen. Das Gelesene verbleibt nicht mehr in einem Außen, dass man herein schaufelt, sondern webt mich in sich ein, antwortet auf mich.

Wie dem auch sei. Ich will dennoch Bücher lesen. Es ist nun mal die Hypothek unserer Achsenzeit, dass die wirklich relevanten Gedanken nach wie vor in Buchform gegossen stehen. Ich bin mir sicher, dass sich das ändert, ändern wird. Aber bis dahin will ich auf diesen Wissens- und Gedankenschatz ungern verzichten.

Eine Möglichkeit Internet und Buch zusammenzudenken sind öffentliche Lesesessions. Plomlompom hat gerade eine angeregt zu dem Buch: The Fall of Public Man von Richard Sennett und ich werde da mitzumachen.

Schon lange beneide ich Plom um seine Konsequenz und Disziplin, sich durch wahnwitzige Wälzer wie den Penrose durchzubeißen und dabei das Buch in seinem Wiki zusammenzufassen. Und vor allem denke ich mir: „WOW! Was für ein toller Dienst an der Menschheit!“ Ploms Zusammenfassungen können durchaus eine Buchlektüre weitestgehend ersetzen (das mag auch an seinem Können liegen) und so komme ich langsam auf den Idee, dass zusammenfasste Bücher doch das sinnvollere – weil internethirnkompatible Google Books wäre. Nicht stupide online gestellte Rohdaten, sondern internetkompatiblere Zusammenfassungen, die auch Twitterer und Youtubefilmschauer durchzulesen im Stande sind, werden gebraucht. (Das gilt vor allem seit Bücher zum großen teil aus Füllmaterial bestehen, wie Kathrin Passig letztens erst wieder in einem ihrer tollen Texte bemerkte.)

Neben Plom hat das zum Beispiel Thomas Strobel auf Twitter mit dem Sarrazinbuch gemacht, was eine grandiose Tat war. Das Resultat kann man sich nach wie vor hier angucken, Martin Lindner sei Dank. Ich habe dadurch das Gefühl, dass ich durchaus den Inhalt des Buches kenne, was – trotz der enormen Absatzzahlen – erschreckend wenige Menschen von sich behaupten können.

Was aber fehlt, ist eine Infrastruktur für sowas. Weder Ploms Wiki scheint mir da besonders leichtgängig, noch will ich meinen Twitterstream mit Lektürenotizen zumüllen. Dennoch will ich gerne eine „Wissenressource“ aufbauen, der man aber „folgen“ können soll. So eine Mischung aus Blog und Wiki wäre toll dafür. Am besten mit Versionierung im Hintergrund, so GIT-mäßig. Dazu wären noch „soziale“ Features sehr hilfreich: Gruppen, damit sich solche Lesekreise wie unserer bilden können. Kommentare, Verweise, etc.

Und dann bin ich gestern auf das Projekt „Quote.fm“ von UARRR und seinen Freunden gestoßen, die etwas – naja – verwandtes machen wollen. Einen Lesekreis Social Network, aber für Webtexte. Und statt Zusammenfassungen wollen sie Zitate sammeln. Aber von der grundlegenden Idee her, wäre das sicher schon ein guter Anfang. Vielleicht ließe sich das Projekt ja in Richtung eines allgemeineren Lesenetworks weiterbauen. Vor allem, da sie mittlerweile selbst nicht mehr so an die rechtsmäßige Durchführung ihres Projektes glauben. Vielleicht meldet sich ja Uarrr an dieser Stelle.

Zur rechtlichen Lage was Zusammenfassungen angeht, kann man eigentlich froh gen Mutes sein, wenn man sich das kürzliche Urteil in Sachen FAZ, Sueddeutsche vs. Perlentaucher anschaut.

Bis es aber so ein Tool gibt, werde ich meine Lektürenotizen in einzelnen Blogeinträgen verwalten, die ich dann immer wieder update. Eine Krücke, klar. Aber irgendwo muss man mit dem Weltretten ja anfangen.

Mediendings von gestern

Hier noch die Ergebnisse meiner gestrigen spontanen Medienoffensive.

1. Die Talkrunde mit Thilo Weichert, Dr. Christoph Bieber und mir zu Wikileaks. (Link) und (depublizierungssicherer Link). Ich fand das recht ok.

2. Und hier der Auftritt bei dem ARD Nachtstudio zu dem merkwürdigen Datenschutzvorstoß unseres Innenministers. (Wieder zusammen mit Thilo Weichert) (Link) und (depublizierungssicherer Link (so lange, die Youtube nicht andingsen, weiß das wer?):

Mittlerweile habe ich mir ein paar weitergehende Gedanken zu dem Thema gemacht. Ist da vielleicht eine hidden Agenda um eigentlich Hacks und Wikileaks-Enthüllungen zu kriminalisieren?

PS: Kleines Detail am Rande. Irgendwie agiere ich mit Thilo Weichert dauernd im Duett. Das ging schon damals in der c’t los. Da hatte er den Gegenartikel zu meinem Kontrollverlustartikel geschrieben. Jetzt diese beiden Koinzidenzen. Zudem wird demnächst ein Beitrag von mir in einem von ihm und Jan Schmidt betreuten Heft der Bundeszentrale für politische Bildung erscheinen. Dabei haben wir uns bis heute nie vorgestellt. (Auf der JeffJarvisveranstaltung in der Böllstiftung wollte ich ihn ansprechen, dann war er aber irgendwie weg). Aber das kann ja noch werden.

Nachtrag – Datenschutzvorstoß ein Lex-Wikileaks?

Einer der Gründe, warum das Interview (ARD 0:00) zu dem Datenschutzvorstoß des Innenministers heute abend vielleicht etwas ziellos war ist sein wird gewesen sein wird, ist die Tatsache, dass ich das alles nicht recht kapiere. Ich war nämlich gerade auf so ner Konferenz und hatte das ganze zwar mitbekommen, wollte mich eh noch mit dem Thema beschäftigen, hatte bis dahin aber keine Zeit gefunden. Und jetzt sitze ich etwas ratlos davor.

Ich mein: Was soll das?

Umfangreiche und gewerbsmäßige Datensammlungen“ sind des Teufels, das ist Datenschutzkonsens, soweit klar. Und mir ist auch völlig klar, dass da einige Ideen und Vorstöße von vielen Seiten erwünscht sind, diese Sammelwut irgendwie einzuschränken oder zumindest den Zugriff zu regulieren. Auch klar.

Aber was der Innenminister will, ist ja etwas ganz anderes: Er will verhindern, so wörtlich, dass diese Datensammlungen „veröffentlicht“ werden.

Hmm. Veröffentlicht. Nee, klar. Wär doof, wenn das passiert. Aber irgendwie … ist euch dazu ein Fall bekannt? Ist genau das bislang irgendwo zum Problem – zum Datenschutzproblem – geworden?

Ich mein, klar werden gerne Daten gesammelt aber was damit gemacht wird, ist etwas völlig anderes: Es wird versucht Werbung dran anzupassen, den Dienst zu verbessern oder die Datensätze werden verkauft – an andere Werbefirmen. Im schlimmsten Fall werden sensible Daten wie Kontonummern, Passwörter oder Kreditkarteninformation für betrügerische Zwecke ausgenutzt.

Aber veröffentlicht? Wer macht denn sowas? Und zu welchem Zweck?

Hmm, klar! Hacker tun das! Wenn sie beispielsweise wieder in Leck in den VZ-Netzwerken gefunden haben.

Und Wikileaks oder andere Whistleblowerplattformen tun das!

Ist der Datenschutzvorstoß des Innenministers also ein Lex-Wikileaks? Um sich und seine mächtigen Freunde zu schützen?

Wie ich heute morgen getwittert habe: mir ist nicht ganz wohl bei der Sache.