"historisch"

Scheiße. 13 Jahre ist Pulp Fiction schon alt. 13. Ich kann mich erinnern, als ich 13 Jahre alt war. Noch besser kann ich mich erinnern, wie sehr ich diesen Film liebte. Und, ich kann mich noch sehr gut erinnern, dass „13 Jahre“ mal eine unglaublich lange Zeit war. Früher. Es ist gar nicht so lange her, da waren 13 Jahre noch „historisch“.

Als 13jähriger sind 13 Jahre eine historische Zeit. Eine Zeit, als die Eltern noch geraucht haben und mit dem Käfer Urlaub in Israel machten. Eine Zeit die man nur aus vergilbten Fotoalben kennt. Eine Zeit, vor der eigenen Zeit. Das ist sogar noch mit 23 so. Denn für die meisten Themenbereiche der Kultur beginnt man sich erst etwa so ab 10, meist sogar erst mit der Pubertät zu interessieren. Selbst mit 23 Jahren sind 13 Jahre meist „historisch“. Aber was ist das: „historisch“?

Ich beginne es zu verstehen. Ich bekomme ein Gefühl dafür. Denn erst jetzt wird mir bewusst, dass die Erlebnisse meiner Jugend für andere, unwesentlich jüngere Menschen bereits „historisch“ geworden sind. Denn man kann den Unterschied fühlen.
All die Dinge, die mir bewusst widerfahren sind: Tschernobyl, Challenger, der Fall der Mauer, Pulp Fiction, fühlen sich für einige mir bekannte und befreundete Personen an, wie sich für mich der „Deutsche Herbst“ anfühlt, wenn ich über ihn lese oder einen Fernsehbericht darüber schaue: Abstrakt, vermittelt, gelernt. Ohne das Gefühl des Schocks, ohne die erfahrene Zertrümmerung von Gewissheiten, ohne das ereignishafte Herreinbrechen des Anderen. Das Unglaubliche das es damals war. Das Unglaubliche ist für andere bereits das Gegebene. Unglaublich, oder?

Und langsam entwickle ich ein Verständnis für diesen Begriff „historisch“, indem ich sein Werden beim Anderen erfahre: Meine Zeitgreifende Erfahrung dehnt sich hinein in das unbewusste Nicht-Erleben eines Anderen: Mein Leben ist bereits für manche in Teilen „historisch“. Dieser Begriff ist nur intersubjektiv erfahrbar, und ermöglicht einem vielleicht, dem immer schon „Gegebenen“, dem je Historischen, seine Ereignishaftigkeit nachträglich zuzugestehen. Und es reflektiert das eigene Erlebte zugleich auch als Historie.

Ob am 16. April 1912 in der Zeitung vom Untergang der Titanic zu erfahren, vorm Fernseher zu sitzen am 11. September 2001 oder dem Radio lauschen bei der Mondlandung am 20. Juli 1969, all dies wird das selbe gewesen sein. Es wird historisch gewesen sein: In ein und der selben Realitätsferne. Für jemanden anderes, kommendes. Und – das hört sich nur einfach an. In Wirklichkeit ist es der Schulterschluss mit den Toten.